Friedenspreis für Salman Rushdie
Der Autor Salman Rushdie während seiner Dankesrede zur Auszeichnung mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in der Paulskirche in Frankfurt am Main. © picture alliance / dpa / Arne Dedert
Ehrung eines Unbeugsamen
Salman Rushdie wurde zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse der diesjährige Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen. Die Jury hob die Unbeugsamkeit, Lebensbejahung und Erzählfreude des britischen Autors hervor.
Für Salman Rushdie war es ein Geschenk zum 76. Geburtstag: Am 19. Juni 2023 gab der Stiftungsrat bekannt, dass der britische Autor in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält. Der Preis wurde am 22. Oktober bei einer Feierstunde in der Paulskirche in Frankfurt am Main zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse verliehen.
Rusdie bedankte sich mit einer Rede, in der er auf die Bedeutung von Frieden und Meinungsfreiheit einging. "Wir leben in einer Zeit, von der ich nicht geglaubt hätte, sie erleben zu müssen", sagte der Schriftsteller. Es sei eine Zeit, in der die Meinungsfreiheit von reaktionären, autoritären, populistischen, demagogischen, halbgebildeten, nazistischen und achtlosen Stimmen angegriffen werde. "Eine Zeit, in der Bildungseinrichtungen Zensur und Feindseligkeit ausgesetzt sind, in der extremistische Religionen und bigotte Ideologien beginnen, in Lebensbereiche vorzudringen, in denen sie nichts zu suchen haben."
Die Freiheit sei von allen Seiten unter Druck, mahnte der Autor. "Das hat es so bisher noch nicht gegeben", sagte er und verwies auf die Rolle von Internet und sozialen Medien, die diese Lage noch verkomplizierten. "Wir sollen weiterhin und mit frischem Elan das tun, was wir schon immer tun mussten", so Rushdie. "Schlechte Rede mit besserer Rede kontern, falschen Narrativen bessere entgegensetzen, auf Hass mit Liebe antworten – und nicht die Hoffnung aufgeben, dass sich die Wahrheit selbst in einer Zeit der Lügen durchsetzen kann.
Die Laudatio hielt der mit Rushdie befreundete Schriftsteller Daniel Kehlmann. Er würdigte den Preisträger als einen der "größten Erzähler der Literaturgeschichte" und den "vielleicht wichtigsten Verteidiger von Kunst und Rede in unserer Zeit". Rushdie sei aber vor allem ein "weiser, neugieriger, heiterer und gütiger Mensch und somit der würdigste Träger für diese Auszeichnung, die als Friedenspreis ausdrücklich nicht nur künstlerische, sondern auch humanistische Größe würdigt".
Stimmen der Würdigung
Die Autorin und Kritikerin Mithu Sanyal sagt über den Preisträger: „Diese Auszeichnung bedeutet etwas für ihn und für die Meinungs- und Redefreiheit", Rushdie sei einer der dramatischsten Verteidiger der Redefreiheit – nicht nur seiner eigenen: „Da ist er radikaler und beeindruckender als viele andere.“
Rushdie ist für sie ein Brückenbauer: "In seinen Texten geht es immer um das migrantische Lebensgefühl, um Hybridität, um Menschen, die qua ihrer Existenz schon Brücken sind. Das ist die Aufgabe, die er zutiefst ernst genommen hat."
Der Autor glaube fest daran, dass man über Literatur und Geschichten die Welt verändern könne: „Ganz viele Dinge können wir nicht ausdiskutieren. Aber wenn wir die Geschichte von jemandem erfahren, wenn wir erfahren, welche Menschen hinter der Politik stehen, dann öffnen wir etwas, was wir über reine Argumente nicht öffnen können“, betont Sanyal.
Auch in der Begründung der Jury wird der Einsatz des Autors für die Meinungsfreiheit hervorgehoben. Dort heißt es: "Seit seinem 1981 erschienenen Meisterwerk 'Mitternachtskinder' beeindruckt Salman Rushdie durch seine Deutungen von Migration und globaler Politik. In seinen Romanen und Sachbüchern verbindet er erzählerische Weitsicht mit stetiger literarischer Innovation, Humor und Weisheit. Dabei beschreibt er die Wucht, mit der Gewaltregime ganze Gesellschaften zerstören, aber auch die Unzerstörbarkeit des Widerstandsgeistes Einzelner."
"Weil der iranische Ajatollah Chomeini 1989 eine Fatwa gegen ihn ausgesprochen hat, lebt Salman Rushdie in ständiger Gefahr. Dennoch ist er nach wie vor einer der leidenschaftlichsten Verfechter der Freiheit des Denkens und der Sprache – seiner eigenen, aber auch der von Menschen, deren Ansichten er nicht teilt", so die Jury.
Und weiter: "Unter hohen persönlichen Risiken verteidigt er damit eine wesentliche Voraussetzung des friedlichen Miteinanders. Kurz vor Veröffentlichung seines jüngsten Romans 'Victory City' wurde er im August 2022 Opfer eines Mordanschlags. Trotz massiver körperlicher und psychischer Folgen, mit denen er noch immer ringt, schreibt er weiter: einfallsreich und zutiefst menschlich. Wir ehren Salman Rushdie für seine Unbeugsamkeit, seine Lebensbejahung und dafür, dass er mit seiner Erzählfreude die Welt bereichert."
"Vollfettstufe des Erzählens"
Der Literaturkritikerin Shirin Sojitrawalla erscheint die Begründung der Jury aus der literarischen Perspektive etwas schmal: "Ich bin mir nicht ganz sicher, was da ausgezeichnet wird. 'Erzählfreude' - das Wort scheint mir etwas klein für den literarischen Kosmos von Salman Rushdie."
Rushdie habe für seinen Roman "Mitternachtskinder" nach einem „ganz eigenen Stil gesucht“ und diesen in einem üppigen Erzählen gefunden: „Ein Kritiker hat das mal die 'Vollfettstufe des Erzählens' genannt, und das finde ich immer noch einen sehr prägnanten und guten Ausdruck für diese wilde Mischung aus magischem Realismus, immer auch verknüpft mit historischer Wahrhaftigkeit. Es geht viel um Mythen, aber auch um Religion, um Phantastik." Zugleich kenne sich Rushdie auf den verschiedensten Gebieten aus, so auch mit Trash und Pop. „Das macht seinen Stil ganz eigen", sagt Sojitrawalla.
Joachim Scholl, Literatur-Redakteur bei Deutschlandfunk Kultur, spricht bei Rushdie von Weltliteratur von hohem Wert: "Wenn Sie einmal einen Rushdie-Roman gelesen haben, dann werden Sie alle anderen lesen und lieben. Das ist eine wunderbare Literatur, die Toleranz, die das Miteinander der Kulturen feiert, gleichzeitig auch die Auswüchse kritisiert. Es ist immer witzig und hochunterhaltsam. Es ist hochintelligente Literatur."
Rushdie wurde 1947 in Bombay (heute Mumbai) geboren. 1981 erhielt er für "Mitternachtskinder" den Booker Prize. Von 2004 bis 2006 war Rushdie Präsident des PEN-American-Center und anschließend für zehn Jahre Vorsitzender des PEN World Voices International Literary Festival. Im Jahr 2007 erhob ihn Queen Elizabeth II. als Knight Bachelor in den Ritterstand.
Der Friedenspreis wird seit 1950 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels verliehen. Er ist mit 25.000 Euro dotiert. Im vergangenen Jahr ging er an den ukrainischen Autor Serhij Zhadan, davor an die simbabwische Autorin Tsitsi Dangarembga. Zu den weiteren Preisträgern zählen Navid Kermani, Carolin Emcke und Margaret Atwood.
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