Johanna Holmström: Asphaltengel
Aus dem Finnlandschwedischen von Wibke Kuhn
Ullstein Verlag, Berlin 2014
400 Seiten, 14,99 Euro
Kein fröhlicher Multikulti-Roman
Das Finnland der Autorin Johanna Holmström ist rassistisch und menschenfeindlich – die Schwächeren, die Unmodischen und Schüchternen werden schon in der Schule drangsaliert, die Lehrer ignorieren das. Der Roman "Asphaltengel" handelt von "gefallenen Mädchen", zerrissen zwischen der finnischen und der arabischen Kultur.
Der Roman ist allen Mädchen gewidmet, "die schon mal in einem viel zu kurzen Rock ausgegangen sind": Leila und Samira zum Beispiel. Sie sind 13 und 18. Ihre finnische Mutter trägt neuerdings Kopftuch und benimmt sich seitdem muslimischer als ihr aus dem Maghreb stammender Mann, sie verbrennt die Kinderfotos ihrer Töchter, verbannt den Fernseher und trifft sich täglich mit gleichgesinnten Betschwestern, weil das angeblich so im Koran steht. Von ihren Töchtern verlangt sie das Gleiche.
Samira will "von dem ganzen Blödsinn echt nichts hören", zieht von Zuhause aus, als ihr Vater anfängt, ihre Hochzeit zu planen. Sie hat Angst, dass die muslimischen Freunde der Eltern sie gewaltsam zurückholen, und sie flüchtet sich zu einem Freund, einem Skinhead, der sie vor seiner Gang rettete, weil er sich in sie verliebt hat.
Dann stürzt Samira eine Treppe hinunter und fällt ins Koma.
Leila, die herausbekommen möchte, was mit Samira passiert ist, weiß eines genau: ein so genannter "Asphaltengel" wie ihre Schwester wird sie nicht werden, so wie die Mädchen, die von einem Balkon gesprungen sind oder gestoßen wurden. Deren Tod - meist handelt es sich um muslimische Frauen - wird selten aufgeklärt.
Hat inzwischen jeder Religion abgeschworen
Leila hat ihre eigene Methode, sich zu verweigern. Sie versucht, wie ein Junge auszusehen, trägt Kapuzenpullis und macht bei einer wilden Sportart mit: nächtlichen Hindernisrennen durch die Stadt, über Autos, Mauern, durch Hinterhöfe und Hochhäuser. Linda, ihre beste Freundin, die jetzt Glitzerminis und Push-Ups trägt, hat sich von ihr abgewandt Sie gehört zu der tonangebenden Gang, die auf dem Schulhof die Gucci- oder Vuitton-losen Mädchen mobbt, drangsaliert, schlägt. Wenn sie nicht aufpasst, kann sie schnell abrutschen, dann ist auch sie die Nutte, die Negerhure, begrapscht wird sie in ihren süßen Hotpants sowieso. Die Lehrer schauen weg.
Die Geschichte wird im schnellen Wechsel aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt, naiv-frech aus der Ich-Perspektive Leilas und tastend-reflektiert in der dritten Person, die einmal Samira, dann deren iranischer Freundin gehört. Die zum Islam konvertierte Christin hat inzwischen jeder Religion abgeschworen.
Nah an ihren rebellierenden Heldinnen
Johanna Holmström kennt das Milieu. Die 33-jährige Autorin gehört der schwedischen Minderheit in Finnland an, sie hat Arabistik studiert, war mit einem Araber verheiratet und hat zwei Töchter. Sie ist ganz nah dran an ihren rebellierenden Heldinnen. Die Nöte, in die sie geraten, machen klar, dass es immer um Dominanz und Unterwerfung geht, egal ob die Frau ein Kopftuch oder einen Mini trägt, "was zählt, ist der Wunsch der anderen".
Freiheit oder Ehre - das sind nur Vokabeln für dasselbe Phänomen: die Frau als Ware, ob man sie an den Meistbietenden verschachert oder ihr unter den Rock fasst: Das ist starker, hochaktueller Stoff, der sich in Thesenhaftigkeit verlieren könnte. Davor bewahrt den Roman seine souverän gehandhabte Sprache. Geschliffen scharf, radikal, existentiell - Holmström und ihre Übersetzerin Wibke Kuhn treffen den Jugendjargon perfekt. Einfach hinreißend sind vor allem Leilas Passagen. Wie es ihr gelingt, Macht über sich selbst zu gewinnen, das ist allerbeste Unterhaltungsliteratur.