Humor bei Franz Kafka
Der angeblich so düstere Franz Kafka konnte auch anders: Nicht nur lächeln, sondern auch lachen! © IMAGO / Gemini Collection / IMAGO / Gemini
Gar nicht mal so schwermütig
Kafka galt lange als schwermütiger, undurchdringlicher Autor. Hundert Jahre nach seinem Tod blickt man ganz anders auf ihn: Plötzlich gilt er als Frohnatur, seine Texte werden zur Strandlektüre empfohlen. Wie kam es dazu?
Henry James schrieb einmal, dass wir von einem Schriftsteller nur eines wissen wollen: "Wie denkt er über das Leben?" Vor elf Jahren antwortete ein Kritiker aus der Perspektive Franz Kafkas. Dieser habe das Leben als unerträglich kompliziert, weitgehend freudlos und insgesamt entmutigend empfunden. Kafka sei vom Leben erdrückt worden - seine Literatur könne man getrost beiseitelegen. Diese Sicht hat eine lange Geschichte.
Kafkas Freund und Herausgeber Max Brod versuchte von Anfang an, eine bestimmte, eher düstere Lesart von Kafkas Texten durchzusetzen. Die meisten Rezensenten folgten ihr. Gegen Ende der 1920er-Jahre galt Kafka in den Augen der Öffentlichkeit rückblickend als hoffnungslos Unglücklicher. In Studien und Texten wurde er als still und einsam beschrieben. Leben und Werk erschienen als Abgrund.
In den folgenden Jahrzehnten zeigte sich jedoch, dass sein Werk viele Lesarten zulässt. Dominierte in den 20er-Jahren noch die religiös aufgeladene Deutung, so erkannten die Intellektuellen der 30er- und 40er-Jahre in seinen Romanen den faschistischen Unrechtsstaat, bevor sich die Jugend der 50er-Jahre einer existentialistischen Lesart des Autors verschrieb. Gemeinsam blieb ihnen allen, Kafka nur mit den schwersten Themen in Verbindung zu bringen.
Kafka als Humorist
Hundert Jahre nach Kafkas Tod hat man sich von der schwermütigen Interpretation von Kafkas Leben und Werk verabschiedet. Das zeigt etwa die ARD-Serie „Kafka“. Sie eröffnet eine neue Perspektive auf Kafka, findet der Kritiker Kolja Unger: „Sie ist insgesamt weniger düster als die gängige Lesart, dass der Autor an Minderwertigkeitsgefühlen zugrunde gegangen sei.“
Dass Kafka das Leben stets bissig kommentiert, dass er immer wieder kichernd zu sehen ist und dass sein Pendeln zwischen Büro, Bordellen und Literatur alles andere als ernst wirkt, gehört zum Konzept. Regisseur David Schalko wollte die humorvolle Seite Kafkas hervorheben: „Das ist eines der Klischees, die nicht stimmen, dass Kafka immer nur bierernst und sperrig ist. Er war auch ein Humorist.“
Dass das so ist, haben sich Schalko und Drehbuchautor Daniel Kehlmann von Kafka-Biograf Reiner Stach verbriefen lassen. Dieser war nicht der erste, der sich für eine leichtfüßigere Lesart des Autors aussprach. Der Verleger Klaus Wagenbach kämpft seit Jahrzehnten gegen Interpreten, die den Humor in den Werken nicht erkennen. 2018 brachte er ein Lesebuch mit Kafkas witzigsten Texten heraus.
Laut Literaturkritiker Helmut Böttiger war Wagenbach der erste, der dem vorherrschenden Bild von Kafka vehement widersprach. Kafka sei Angestellter gewesen, der die Absurditäten dieser Daseinsform erkannte und verarbeitete.
Dreißigjähriger Nesthocker
Doch halt! Wissen wir nicht, dass Kafkas Leben alles andere als heiter, ja, dass es unzumutbar war? Wissen wir nicht aus dem "Brief an den Vater", dass sich Kafka dank der autoritären Erziehung seines schwermütigen Vaters Hermann ein Leben lang unzulänglich fühlte? All das ist unbestritten. Und trotzdem lebte Kafka bis zu seinem 31. Lebensjahr freiwillig mit ihm unter einem Dach.
Dass das Familienleben so furchtbar nicht gewesen sein kann, zeigt auch eine Ausstellung von Fotos der Kafkas in Berlin. Dort ist der Schriftsteller plötzlich in ungewohnter Leichtigkeit zu sehen. Ob mit Strohhut in einer Flugzeugattrappe oder in Badehose am Strand – auf Familienfotos erscheint er fröhlich, der Vater wirkt warmherzig. „Alles in der Familie drehte sich um ihn“, sagt Kurator Hans-Gert Koch. „Der stille Franz war der Mittelpunkt der Gesellschaft.“ Die Familie? Keine so schwere Last, wie er selbst behauptete.
Paradiesische Zustände im Büro
Das Gleiche gilt für die ach so bedrückende Arbeit im Herzen der Bürokratie. Kafka war als Jurist bei der Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt angestellt. Allein der Name! Kann ein sensibles Künstlerherz ein solches Umfeld überhaupt aushalten?
Und ob. Kafka wollte nicht nur nie kündigen oder den Beruf wechseln. Im Gegenteil: Er war gut in seiner Arbeit, zufrieden mit den Arbeitsbedingungen (um 15 Uhr war Feierabend) und wurde nur selten von seinen Vorgesetzten behelligt.
„Es waren paradiesische Arbeitszustände“, sagt „Kafka“-Regisseur David Schalko. Darum wirke die Versicherung in der Serie wie das genaue Gegenteil der Hölle, als die sie bei Kafka dargestellt wurde.
Dass die fröhlichere Seite von Kafka zunehmend in den Mittelpunkt rückt, liegt daran, dass manche Informationen lange nicht verfügbar waren. So veröffentlichte Max Brod die Tagebücher von Kafka nicht vollständig. „Brod hat den Text zwar nicht umgeschrieben“, sagt Daniel Kehlmann. „Er hat aber einige Stellen rausgenommen, die ihm zu privat vorkamen.“
Zum Beispiel den Besuch bei einem Pornografiesammler. Für Brod zu vulgär, um die Aufzeichnungen darüber zu Lebzeiten zu veröffentlichen. Die gestrichenen Stellen hat Brod aber nie vernichtet. In der Kritischen Ausgabe von Kafkas Werken, die seit den 80er-Jahren erarbeitet wird, sind sie enthalten. Deshalb kann die Serie die betrunkenen Freunde inmitten von pornografischen Bildern zeigen, ohne etwas dazu zu erfinden.
Komik zwischen den Zeilen
Wie Kafkas Leben ist auch sein Werk nicht nur ein düsterer Abgrund der menschlichen Existenz. Mittlerweile werden seine Bücher sogar als Strandlektüre empfohlen. Zurecht! Allein "Die Verwandlung": Gregor Samsa wacht morgens auf und ist zum Ungeziefer geworden. Statt schockiert, angewidert oder beängstigt zu sein, erschreckt sich der Geschäftsmann, dass er den Zug verpasst hat, und denkt: „Ach Gott‚ was für einen anstrengenden Beruf habe ich gewählt!“
Seine Vermutung, als er sich fragt, was wohl Auslöser der ungewollten Metamorphose sein könnte: „Nichts anderes, als der Vorbote einer tüchtigen Verkühlung“. Dann, als er nicht aufstehen kann: „Nur sich nicht im Bett unnütz aufhalten“.
Auch andere Erzählungen geben Anlass zum Schmunzeln. In "Blumfeld, ein älterer Junggeselle" wird der Protagonist von zwei mysteriösen Bällen durch die Wohnung gejagt. Sein erster Gedanke: „Schade, daß Blumfeld nicht ein kleines Kind ist, zwei solche Bälle wären für ihn eine freudige Überraschung gewesen, während jetzt das Ganze einen mehr unangenehmen Eindruck auf ihn macht.“
Selbst Kafka scheint seine Werke nicht immer ernst genommen zu haben. In seinen Briefen und Tagebüchern schreibt er oft von Lachanfällen bei der Arbeit. Laut Max Brod hätte Kafka auch beim Vorlesen manchmal so sehr gelacht, „dass er weilchenweise nicht weiterlesen konnte“. Und Kafka selbst schrieb an seine Verlobte Felice Bauer, er sei sogar als großer Lacher bekannt. Überzeugt?
Kafka – eine Frohnatur?
Brod war es bis zum Ende nicht. 1968 wird er kurz vor seinem Tod von dem Journalisten Georg Stadtler interviewt. Brod verteidigt sich dagegen, Kafka zu leichtfertig eine unbekümmerte Künstlerseele aufzuschwatzen: "Gewisse Leute wollen ihn als Bohemien sehen, die haben ihn eben nie gekannt." Stadtler fragt nach: "War er eine Frohnatur?" Brod: "Das ist zu viel gesagt. Er war nicht so depressiv wie er heute gesehen wird, aber Frohnatur kann man ihn nicht nennen. Er war, wenn man mit ihm allein war oder in einem kleinen Kreis, von einer bezaubernden Witzigkeit und Spritzigkeit, aber in großer Gesellschaft verstummte er."
Brod hat mit der posthumen Veröffentlichung seiner Werke verhindert, dass er auch vor der großen Weltgesellschaft verstummt wäre. Um seinen bezaubernden Witz wiederzuentdecken, brauchte es aber dann ein paar Jahrzehnte ohne Brod.