Barbara Klemm, Fotografien – Photographs 1968-2013, mit Texten von Durs Grünbein und Michael Koetzle
Nimbus Verlag, Wädenswil 2013
377 Seiten 48,00 Euro
Die Verdichtung der "Weltsekunde"
Mehr als 40 Jahre Zeitgeschichte in Schwarz-Weiß: Das Werk der Pressefotografin Barbara Klemm wird in einer großen Retrospektive im Berliner Martin-Gropius-Bau gewürdigt und in einem Begleitband gefeiert. In seinem Essay bezeichnet der Schriftsteller Durs Grünbein Klemms Bilder als festgehaltene "Weltsekunde".
Eine Kameratasche? Nein, die habe sie nie besessen. Tatsächlich arbeitet Barbara Klemm mit leichtem Equipment. Zwei Spiegelreflexkameras hat sie im Lederbeutel zur Hand, dazu wenige Objektive und Filme. Die Minimalausstattung erlaubt der Fotografin Bewegungsfreiheit und dient außerdem als Tarnung: "Ich bin herumgestreunt ... Die Leute haben mich nicht wahrgenommen als Berufsfotografin, und das erleichterte mir die Arbeit."
In Deutschland allerdings ist diese Tarnung längst aufgeflogen. Die Frau mit dem Lederbeutel zählt zu den berühmtesten und wichtigsten Vertreterinnen des Fotojournalismus. Über 40 Jahre hat Barbara Klemm im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Tageszeitung deutsche Zeitgeschichte – bisweilen gar Weltgeschichte – in Bildern festgehalten.
Sie dokumentierte die Studentendemonstrationen der 1968er Jahre, sie war dabei, als sich Willy Brandt und Leonid Breschnew 1973 inmitten des Kalten Krieges erstmals in Bonn trafen, sie fotografierte 1979 beim 30. Jahrestag der DDR, sie hat das Misstrauensvotum 1982 gegen Helmut Schmidt festgehalten, sie war natürlich beim Fall der Mauer zugegen; um nur einige Beispiele zu nennen. Nun wird ihr Werk in einer großen Retrospektive gewürdigt und mit einem üppigen Begleitband gefeiert.
"Schwarzweiß ist Farbe genug"
320 Fotografien hat Barbara Klemm dafür zusammengestellt. Sie zeigen eindrücklich den gesamten Kosmos der Fotografin. Der großen Politik im In- und Ausland – Klemm dokumentierte beispielsweise auch die Nelkenrevolution in Portugal oder das Apartheitssystem in Südafrika – stellt sie gleichberechtigt vermeintlich Alltägliches und Privates zur Seite: Menschen im Park, Bäuerinnen bei der Arbeit, Versprengte in der Trinkhalle. Und auch ihre berühmten Künstlerporträts von Simone de Beauvoir über Friederike Mayröcker bis hin zu Janis Joplin sind Teil der Retrospektive.
Jede einzelne Fotografie bezeugt die ganz besondere Könnerschaft der Barbara Klemm: Die Verdichtung großer oder auch kleiner Geschichten auf den einen bestimmenden Moment, den Durs Grünbein in seinem berührenden Begleit-Essay "die Weltsekunde" nennt. Tatsächlich hatte die Chronistin der FAZ selten Platz, meist musste ein Einzelbild für das Ganze stehen.
Wie akribisch und bestens vorbereitet die Fotografin dabei zu Werke geht, beschreibt Michael Koetzle. Der Fotografie-Experte würdigt Klemms Gespür für den rechten Augenblick, ihre kompositorische Sicherheit, ihre beharrliche Geduld ("Ich warte, bis sich alles ordnet.") und erwähnt auch ihre Abneigung gegen Farbe ("Schwarzweiß ist Farbe genug"), Blitzlicht und Inszeniertes. Selbst ihre Porträts habe sie nie arrangiert, sie seien vielmehr das Ergebnis einer "sehr bewussten Begegnung".
Eine solche hatte auch Durs Grünbein mit Barbara Klemm. Ihre "ausdauernde Zurückhaltung" sei geradezu "bohrend" gewesen, und das Ergebnis hat den Porträtierten schließlich Lachen gemacht. Klemm hatte den jungen Literaten im Berliner Zoo neben einem frontal äugenden Riesenbarsch fotografiert. Auch Chuzpe und Humor gehören zu Barbara Klemms Stärken.