Barbara Klemm

Eine gutgelaunte Fotografin

Von Paul Stänner · 15.11.2013
Das schnelle Erfassen der bildhaften Qualität eines Augenblicks hat Barbara Klemm früh gelernt, doch malen wollte sie nicht, sondern fotografieren. Mit ihren Fotografien hat sie über viele Jahrzehnte das öffentliche Bild der Bundesrepublik Deutschland geprägt. Für den Martin-Gropius-Bau in Berlin entwickelt die renommierte Fotografin eine retrospektive Werkschau. Sie umfasst etwa 300 Exponate aus fünf Jahrzehnten.
In der Hand hält sie die Leica M. Das Gerät ist an den Kanten schon abgestoßen, hat offensichtlich viel mitgemacht. Und sie erzählt, während wir ins Untergeschoss des Martin-Gropius-Baus gehen, dass sie von der Firma Leica den Hall of Fame Award bekommen hat. Zu der Auszeichnung gehörte auch eine neue Leica, Hochleistungsobjekt und durch und durch digital.

Freundlich, aber sehr entschieden habe sie denen von der Firma erklärt, dass sie die digitale Kamera nicht möchte. Nach einigem Hin und Her hat sie dann eine analoge Kamera von Leica bekommen. Und mit dieser analogen Kamera wird sie ganz sicher immer nur schwarz-weiß fotografieren, so wie es immer getan hat. Sie mag das Digitale nicht und schwarz-weiß ist für sie Farbe genug.

Im Berliner Martin-Gropius-Bau ist heute eine große Ausstellung eröffnet worden unter dem Titel Fotografien 1968 bis 2013. Es sind dreihundert Aufnahmen von Barbara Klemm, die zumeist während ihrer Zeit als Redaktionsfotografin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung entstanden sind. Wir haben unseren Besprechungsraum in den Katakomben des Museums erreicht. Die Klimaanlage faucht.
Barbara Klemm: "Angefangen hab ich mit den Reportagebildern bei der Studentenbewegung und da sind es Situationen, mit denen sie zurecht kommen müssen. Und in der Politik bei großen Ereignissen auch, da muss man gucken, dass man den richtigen Standpunkt hat, denn das Problem ist ja immer, dass wir Fotografen alle den einen Moment brauchen - und das ist oft eben beengt, dadurch, dass zu viele Kollegen da sind, und ich hab versucht die Ruhe irgendwie zu bewahren und sehr genau zu beobachten."
Honecker lächelt verzückt
Der eine genaue Moment: Wir sehen den jugendlichen Joschka Fischer in seiner Kampfzeit mit dem Bauhelm auf dem Kopf, oben auf einer Leiter sitzend. Erst Jahrzehnte später konnte man erkennen, was dieses Fotos alles beinhaltete. Wir sehen Willi Brandt und Helmut Schmidt, wie sie einander in herzlicher Verachtung die Schultern zuwenden. Wir sehen jenes legendäre Foto, auf dem Breschnew und Brandt beieinander sitzen, umgeben von ihren Beratern. Breschnew ein wenig niedriger sitzend als Brandt, der nachdenklich das Kinn in die Hand gestützt hat. Wir sehen Hans Filbinger wie auf einem Gebetszettel, die Hände gefaltet, den Kopf geneigt, den Blick gegen den Himmel gerichtet, das Lächeln irgendwo zwischen vergeistigt und dümmlich. Honecker steht im Abendlicht auf einer Tribüne in einer Reihe mit seinen kommunistischen Mit-Diktatoren. Honecker winkt und lächelt verzückt in die Ferne, während die anderen Granden miteinander tuscheln. Ist Honecker ihnen peinlich? Wissen sie etwas, was er nicht weiß?
Bis 1999 erschien die legendäre Tiefdruckbeilage der FAZ auf hochwertigem Papier, hier waren Barbara Klemms Bilder in der Auswahl der Motive und der Komposition der Bildelemente oft so hellsichtig und erklärend, dass man sich den Artikel darunter sparen konnte. Neben der Reportagefotografie entwickelte Klemm die Porträtfotografie, hier hatte sie mehr Zeit am Ort des Geschehens und musste auch nicht schnell in der Dunkelkammer sein.
Barbara Klemm: "Ich bereite mich vor, ich les, was ich erfahren kann, über denjenigen, den ich porträtiere, damit ich auch eine Sicherheit für mich hab, dass ich auch ein Gespräch führen kann, und ich versuch demjenigen, den ich porträtier, ein gewisse Ruhe zu geben, dass er sich wohlfühlt."
Was aber nicht bedeutet hat, dass es zum Beispiel mit dem sich schwierig gebenden Golo Mann ein Wohlfühlnachmittag wurde: Der professionelle Blick erfasst schnell und zielsicher die Situation. Nach zwanzig Minuten war die Sitzung bei Golo Mann vorbei.
Barbara Klemm: "Ich hab diesen Blick gesehen und ich hab sofort gesehen, dass er da plötzlich diese Ähnlichkeit mit seinem Vater hatte, und dann hatte mir das genügt, wo ich sah, jetzt hab ich's. Warum soll ich dann weiterfotografieren?"
Jesus umgeben von Brüsten
Eine Millionen Fotos sollen in ihrem Archiv lagern, sauber durchgezählt hat sie sie nicht. Aus dieser Bilderflut hatte Barbara Klemm eine Auswahl zusammengestellt und in ihrer Dunkelkammer für die Ausstellung in Berlin neu abgezogen. Die Aufnahmen dokumentieren alle Facetten ihres Arbeitens: Ein ergreifendes Foto zeigt trauernde Rabbiner am 50. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, ein irritierendes Bild zeigt einen todtraurigen Akkordeonspieler mit starrem Buster-Keaton-Gesicht inmitten lachender Menschen in einem Tanzsaals in Rumänien - immer digital und in schwarz-weiß.

Wohlbeleibte Greisinnen, in geblümten Blusen mit steifen Röcken gekleidet wie für Kaffee und Kuchen hat sie beim work-out in einem Fitnessstudio fotografiert, was sehr lustig aussieht - und den Gekreuzigten Jesus umgeben von wohlgeformten Büsten einer Modeschmuckdekoration. Eine Spiegelung hat diese zufällige Komposition zusammengefügt und Barbara Klemms geübtes Auge hat das Bild gesehen.
Barbara Klemm: "Sie können als Fotograf nie deprimiert sein oder schlechte Laune haben, weil sie dann nix sehen."
So gesehen ist Barbara Klemm eine gutgelaunte Fotografin: Nach einem Gang durch die Ausstellung ist man verblüfft, wie viele der Aufnahmen zur Grundausstattung unseres visuellen Gedächtnisses der letzten dreißig, vierzig Jahre gehören. Barbara Klemm hat die Zeiten erfasst in ihren Bilder und ihnen Dauer verlieren, ohne dass sie nach den Jahren an Lebendigkeit verloren haben.