Form ohne Inhalt

Von Stefan Keim · 28.01.2012
Er ist ein Theaterpurist. Laurent Chétouane setzt sehr reduzierte Mittel ein, will sich mit dem philosophischen Kern eines Textes beschäftigen. Ihm scheint es um Kleists Sprache zu gehen, die eigentümlichen Wiederholungen, das Innehalten, das Stottern. Abendfüllend ist das nicht.
Drei Darsteller, ganz in weiß, schauen auf die leere Spielfläche. Nach einigen Augenblicken treten sie schweigend auf und ziehen die Schutzdecke vom Bühnenboden. Der besteht aus einer ganz normalen Tanzauflage, hier geht es nicht um die Enthüllung von etwas Besonderem. Sondern um eine Vorbereitung des Publikums und des Raumes, die drei schaffen Ruhe und Konzentration.

Laurent Chétouane ist ein Theaterpurist. Er setzt sehr reduzierte Mittel ein, will nicht unterhalten und ablenken, sondern sich mit dem philosophischen Kern eines Textes beschäftigen. In Köln hat er eine Novelle Heinrich von Kleists auf die Bühne gebracht, das "Erdbeben in Chili".

In vielen Aufführungen Chétouanes gibt es wenig Text und viel Bewegung. Hölderlins "Empedokles" in Köln oder Goethes "Faust 2" in Weimar hat er stark zusammen gestrichen und die übrig gebliebenen Sätze akribisch durchleuchtet. Nun haben sich die Verhältnisse umgedreht. Kleists Text bleibt unangetastet, er wird auch nicht interpretiert. Zwei pausenlose Stunden lang gehen die Performer über die Bühne und lassen die Novelle mehr durch sich hindurch laufen als dass sie die Worte sprächen.

Ruhig, sachlich, unbeteiligt, fast wie Nachrichtensprecher servieren sie die wilde, dramatische, brüchige Geschichte. Dass Kleist hier wie im "Käthchen" mit den Mitteln der Kolportage arbeitet, wüste Emotionen beschreibt und im Leser herauf beschwört, fehlt an diesem Abend völlig. Man hört zwar von einem jungen Mann, der sich in der Zelle erhängen will, verurteilt von einer Gesellschaft, die nicht akzeptiert, dass sich ein Hauslehrer in seine Schülerin verliebt hat. Von einem gewaltigen Erdbeben, das ihn wieder mit seiner Geliebten zusammen führt, von Momenten des Glücks, Ahnungen des Paradieses, die in einem Pogrom enden. Die Kirche erklärt, der Verfall der Sitten habe die Katastrophe ausgelöst, also das Paar, das gegen den Willen der Eltern zusammen lebt. Die beiden werden bestialisch ermordet, auch ein Kind kommt zu Tode.

Durch Kleists Text zieht sich das Entsetzen darüber, dass der Mensch Spielball des Schicksals ist. Er kann noch so viele Pläne schmieden und fleißig sein, eine Garantie auf Erfolg gibt es nicht. Nicht einmal eine objektive Wahrheit kann er erkennen, wie Kleist durch die Lektüre von Kants "Kritik der Urteilskraft" erfuhr. Doch dafür interessiert sich Laurent Chétouane auch nicht. Ihm scheint es um Kleists Sprache zu gehen, die eigentümlichen Wiederholungen, das Innehalten, das Stottern. Dafür finden die Philipp Gehmacher, Jan-Peter Kampwirth und Marie Rosa Tietjen abgehackte, unfertige Gesten, die oft hilflos wirken und kein Ganzes ergeben. Doch abendfüllend ist das nicht.

Auf einer Rückprojektionswand flimmern schemenhafte Videos, ein Gitarrist begleitet die Szenen gelegentlich mit romantischen Klängen. Zu Beginn lässt er es einmal rockig krachen, und die Darsteller werfen sich zu Boden. Das ist schon illustrativ, aber nicht besonders wirkungsvoll. Es bleibt rätselhaft, wohin Laurent Chétouane mit diesem Abend will. Die ästhetischen Elemente, die er oft einsetzt, sind erkennbar. Doch sie wirken hohl und auf Dauer langweilig. Im "Erdbeben in Chili" liefert Chétouane Form ohne Inhalt.
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