Flutkatastrophe im Ahrtal

Die Suche nach Schuld und Verantwortung

04:43 Minuten
Häuser in Dernau stehen während der Flutkatastrophe unter Wasser.
Dernau im Landkreis Altenahr war vom Hochwasser besonders schwer betroffen. © imago-images / Future Images / Christoph Hardt
Von Anke Petermann · 13.07.2022
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Fast genau ein Jahr nach der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal sind immer noch Fragen offen: Warum wurde die Bevölkerung zu spät gewarnt? Wurde die Gefahr von den Verantwortlichen unterschätzt? Ein Untersuchungsausschuss sucht nach Antworten.
War es wirklich so unvorhersehbar, dass die Ahr am Ende eines tagelangen Dauerregens mit heftigen Gewittern rasant ansteigen würde? Die zuständige Hochwasserwarnbehörde des Landes übermittelte ab dem späten Nachmittag des 14. Juli 2021 Prognosen, die auf eine drohende Megaflut hindeuteten.

Katastrophenschutz ist Sache der Kommunen

Laut Landesgesetz ist Katastrophenschutz in Rheinland-Pfalz Sache der Kommunen. Nur sie hätten die notwendigen Ortskenntnisse, sagt der Mainzer Innenminister Roger Lewentz (SPD). Damit tritt er Vorwürfen der Opposition entgegen, dass er sich trotz höchster Warnstufen nicht ins Krisenmanagement eingeschaltet habe.
"Ab Stufe 4 und 5 sind die Landkreise verantwortlich. Das hat sich immer sehr bewährt. Auch in dieser Nacht an anderer Stelle.“ Damit meint Lewentz die ebenfalls betroffenen Kommunen in der Eifel.

Schwere Vorwürfe gegen Ex-Landrat

Für die Ahr war der Landkreis Ahrweiler zuständig. Gegen den Ex-Landrat Jürgen Pföhler ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung und Körperverletzung durch Unterlassen. Vor dem Untersuchungsausschuss schwieg der CDU-Politiker.
Vielleicht erhellt die Ende der Woche geplante Aussage einer Vertrauten, warum er sich nur zweimal kurz bei der Technischen Einsatzleitung blicken ließ und warum er erst gegen 22 Uhr abends seine unmittelbare Nachbarschaft warnte und erst nach 23 Uhr den Katastrophenalarm ausrief.
Mussten Menschen sterben, weil Pföhler untätig blieb? Ende Juli 2021 gab er sein letztes Interview und wehrte einem SWR-Reporter gegenüber ab:
"Die Frage stellt sich nicht, weil ich gar nicht Mitglied der Technischen Einsatzleitung war."
"Aber als Landrat schon auch verantwortlich?"
"Nein, die Technische Einsatzleitung war dafür verantwortlich, und ich bin nicht die Einsatzleitung gewesen."
Die will Pföhler seinem Brand- und Katastrophenschutz-Inspekteur schon vor Jahren übertragen haben, einem Ehrenamtler. Und damit auch die Gesamtverantwortung. Auch gegen diesen ehrenamtlichen Katastrophenschutz-Inspekteur ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Vergebliches Engagement einer Bürgermeisterin

Professionell agierte am 14. Juli 2021 Cornelia Weigand, damals Verbandsgemeindebürgermeisterin von Altenahr: Die heutige Landrätin beobachtete die Pegelprognosen und inspizierte die Lage. Seit dem Nachmittag versuchte sie, telefonisch bei der Kreisverwaltung und beim Land mit dramatischen Schilderungen zu erreichen, dass der Katastrophenalarm ausgelöst wird.
Was das gebracht hätte, erklärt Weigand so: "Wir haben schon bei den Überschwemmungen im Jahr 2016 Hubschrauber gebraucht, weil das Wasser nachts kam und manche Leute die Durchsagen im Schlaf nicht gehört haben. Mir war klar, dass wenn jetzt noch mal zwei Meter obendrauf kommen, dann werden wir Hubschrauber brauchen. Die setzen sich aber in größerer Menge erst in Bewegung, wenn der Katastrophenalarm ausgerufen ist."

Kommunen brauchen mehr Hilfe von Bund und Ländern

"Wenn unser Landrat früh genug Katastrophenalarm ausgelöst hätte, dann wären mit Sicherheit um Mitternacht in Sinzig nicht noch zwölf Leute ertrunken", sagt Helmut Lussi, Bürgermeister von Schuld.
Er meint die zwölf behinderten Menschen in einem Wohnheim, die von einer Nachtwache nicht mehr ins rettende Obergeschoss gebracht werden konnten. Und zwar Stunden, nachdem Lussis Dorf Schuld schon verwüstet worden war.
Das Versagen der kommunalen Führungsebene wurde nicht aufgefangen. Welche Auffangmechanismen es bräuchte, muss Rheinland-Pfalz noch klären. Die neue Landrätin von Ahrweiler will Bund und Land stärker in die die Pflicht nehmen. In einer solchen Lage, glaubt Cornelia Weigand, stößt die Fähigkeit zur kommunalen Selbsthilfe an Grenzen.
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