Flug durch die Jahrhunderte

In seinem Debütroman "Das Elixier der Unsterblichkeit" zeichnet Gabi Gleichmann die weitverzweigte Geschichte einer jüdischen Familie nach - über 36 Generationen. Der Autor ist selber in Budapest geboren, in Schweden aufgewachsen und lebt heute in Oslo.
Gabi Gleichmann ist in seinem Leben schon vieles gewesen: Journalist (er leitete den Kulturteil der schwedischen Tageszeitung "Expressen"), Präsident des schwedischen PEN-Clubs, und seit 2010 ist er auch Verleger. "Agora" heißt das von ihm und seiner Frau Anette gegründete Imprint des großen norwegischen Verlagshauses Aschehoug, in dem der Endfünfziger Autoren verlegt, die ihm am Herzen liegen wie David Grossmann, Péter Nádas oder Péter Esterházy - die beiden letzteren gebürtige Budapester wie er selbst.

Von der "Édition du Agorah" ist in Gleichmanns nun auf Deutsch vorliegendem ersten Roman am Rande einmal die Rede, der aus der Sicht eines heute in Oslo lebenden gebürtigen Ungarn erzählt wird. Und dennoch handelt "Das Elixier der Unsterblichkeit" nicht von Gabi Gleichmann, sondern von einer weitverzweigten, sich über sechsunddreißig Generationen erstreckenden Geschichte einer jüdischen Familie, wie Gabi Gleichmann ihr entstammt. Der studierte Philosoph hat ihr den Namen "Spinoza" gegeben. Und Baruch de Spinoza spielt in diesem Roman auch eine Rolle, allerdings keine prominentere als die seiner fiktiven Vor- und Nachfahren, unter ihnen Leibärzte, notorische Lügner, Autoren, Betrüger, Mystiker, Scharlatane, Hochstapler, Diebe, Erfinder, Gauner, gewiefte Kaufleute und Gelehrte. Sie alle sind in irgendeiner Weise involviert ins Weltgeschehen und in Berührung gekommen mit der Rezeptur des von ihrem Urahn Benjamin Spinoza einst kreierten "magischen Kräuterextrakts", einer "Tinktur, die ewiges Leben schenkt".

Das Buch ist "stammbaumstark" - so viel Genealogie war nie
So durchmisst der Erzähler, der auf dem Sterbebett liegende Ari Spinoza – "der letzte Spinoza" –, in Form zahlreicher lose miteinander verwobener Einzelgeschichten die Zeitläufte von 1129 bis in unsere Gegenwart. Er sitzt "in der Grabkammer der Erinnerung" und fördert zutage, was der Großonkel ihm und seinem Bruder Sascha über ihre Vorfahren zu berichten wusste. Von kraftstrotzenden Männern sagt man gelegentlich, sie seien baumstark. Von diesem Roman darf man sagen, dass er unfassbar stammbaumstark ist. So viel Genealogie war nie. Genau das ist auch seine große Schwäche. So bewegend die vielen frei erfundenen Anekdoten aus dem Leben der einzelnen Spinozas sind, so sehr ächzt das Buch unter ihrer erdrückenden Überlast. Nicht umsonst sagt der Erzähler an einer Stelle, er habe "eine Vorliebe für überflüssige Details". Zudem wird nicht jeder goutieren, dass hier reale Personen der Zeitgeschichte wie Lew Kopelew, Voltaire, Rembrandt oder Sigmund Freud neben den vielen fiktiven Spinozas auftreten und deren Schicksal so eine Schein-Faktizität verleihen.

Gelungen wiederum ist an diesem Roman, dass er hartnäckige antisemitische Klischees ins Extrem treibt (die Spinozas haben meist "gigantisch große Nasen") und so gekonnt parodiert. Hervorzuheben ist auch, dass er nichts und niemanden idealisiert. Gabi Gleichmann erzählt in "Das Elixier der Unsterblichkeit" keine Helden-Geschichten, er erzählt davon, was es bedeutet, auch unter widrigsten Umständen zu überleben.

Besprochen von Knut Cordsen

Gabi Gleichmann: Das Elixier der Unsterblichkeit
Carl Hanser Verlag, München 2013
670 Seiten, 26.00 Euro
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