Hochzeitseinladungen, Kidduschbecher, Torarollen

Von Otto Langels · 30.09.2011
Das Jüdische Museum Berlin feiert in diesen Tagen sein zehnjähriges Jubiläum. Zum Erfolg des Hauses haben nicht zuletzt die vielen Stifter beigetragen, die dem Museum Dokumente und Gegenstände aus ihrem Privatbesitz überlassen haben. Einer von ihnen ist Rudi Leavor.
"Ich bin Rudi Leavor, 1926 geboren, 1937 sind wir ausgewandert nach Bradford, England. Ich wohne seitdem in derselben Stadt, bin Zahnarzt gewesen und jetzt im Ruhestand."

Rudi Leavor, als Rudi Librowicz geboren, wuchs in Berlin in einem orthodoxen jüdischen Elternhaus auf. Der Vater führte eine gut gehende Zahnarztpraxis. Als die Gestapo 1936 auftauchte und die Eltern aus dem Schlafzimmer abholte, später aber doch wieder laufen ließ, stand für sie fest, dass sie Deutschland verlassen mussten. Im November 1937 emigrierte die Familie nach England und hatte das Glück, noch einige Haushaltsgegenstände sowie die gesamte Ausstattung der Zahnarztpraxis mitnehmen zu können.

Trotz dieser bewegenden Familiengeschichte interessieren sich Rudi Leavors Kinder und Enkelkinder kaum für die Vergangenheit und die aus Deutschland geretteten Gegenstände.

"In den ersten Jahren hatte ich an diese Sachen eigentlich gar nicht gedacht. Das kam erst später, als ich älter wurde. Und ich dachte, solange werde ich nicht mehr leben, und meine Kinder sind nicht an den Sachen interessiert, werde ich doch dran denken, die Sachen dem Jüdischen Museum zu geben. Das ist eben der Zustand, und da kann ich nichts ändern. Also lag die Verantwortung für die Übergabe von diesen Objekten bei mir. Es fiel mir schwer. Ich kann mich erinnern. Da war eine Goldwaage. Mein Vater war Zahnarzt so wie ich, und da hat er ab und zu Gold abgewogen für die Patienten. Und es war eine sehr schöne Waage. Die hab ich sehr gern gehabt, aber ich habe mir gedacht, das wäre doch etwas Geeignetes für das Museum."

Rudi Leavor ist einer von rund 1300 Stiftern aus aller Welt, denen das Jüdische Museum mehrere tausend Exponate verdankt. Häufig sind es Emigranten aus Berlin oder deren Nachfahren, die dem Museum Gegenstände aus ihrem Familienbesitz überlassen.

Leonore Maier, Kuratorin des Jüdischen Museums:

"Ein Schwerpunkt unserer Sammlungstätigkeit ist ja, dass wir Familienkonvolute sammeln. Das ist ein ganz wichtiges Anliegen, dass wir Biografien erzählen, Geschichten von einzelnen Familien, von Personen. Und deswegen haben wir immer wieder auch seit der Zeit vor der Eröffnung des Museums Aufrufe gemacht, um Objekte von jüdischen Familien aus aller Welt zu bekommen. In diesem Bereich der Familienkonvolute, da kaufen wir nichts an, da bekommen wir wirklich alle Sachen geschenkt."

Durch die privaten Schenkungen haben sich die Bestände des Jüdischen Museums im Lauf der vergangenen zehn Jahre verdreifacht – was den Kuratoren die Arbeit erleichtert. Sie können aus einem reichhaltigen Fundus auswählen und aus konservatorischen Gründen einzelne Objekte austauschen, um sie nicht zu lange schädlichen Licht- oder Temperatureinflüssen auszusetzen.

So entdeckte Rudi Leavor, als er in diesen Tagen wieder einmal durch die Dauerausstellung ging, manche Exponate aus seinem Familienbesitz, die er bei früheren Besuchen nicht gesehen hatte.

"Da waren Einladungen zur Hochzeit von meiner Schwester und Todesanzeigen von meinen Eltern, solche Sachen."

Jüdische Geschichte am Beispiel ausgewählter Familienporträts zu erzählen, ist ein Spezifikum der Berliner Ausstellung. Zu vergleichen sei das Berliner Haus vielleicht noch mit dem Holocaust-Museum in Washington und der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel, meint die Kuratorin Leonore Maier.

"Es ist eine Besonderheit, also zumindest im deutschlandweiten Kontext, dass wir so einen Schwerpunkt auf diesen Familien-Biografien auch haben. Und in dem Zusammenhang kommt dann diese hohe Zahl von Stiftern auch zustande."

Da das Jüdische Museum Berlin erst vor zehn Jahren seine Tore öffnete, konnte es seine Sammlungstätigkeit im Vergleich zu anderen Einrichtungen erst relativ spät aufnehmen. Dennoch erfreut es sich unter privaten Stiftern regen Zuspruchs, vor allem unter Emigranten wie Rudi Leaver, die ihre Wurzeln in Berlin haben.

"Da ich aus Berlin stamme, dachte ich, dass die Objekte lieber in Berlin sind als woanders. Ich hatte kleinere Sachen an Museen in London und in Manchester geschickt, bevor dieses Museum in Berlin überhaupt existierte."

Zum zehnjährigen Jubiläum des Jüdischen Museums ist Rudi Leavor nach Berlin gekommen, um ein besonders wertvolles Objekt zu überreichen: eine Thora-Rolle.

"Diese Thora wurde 1903 für meinen Vater geschrieben zu seiner Bar Mitzwa. Bar Mitzwa ist, wenn ein Junge angeblich ein Mann wird im Judentum. Die wurde extra für ihn geschrieben. Und die Thora blieb in unserer Familie. Glücklicherweise konnten wir sie noch mitnehmen bei unserer Auswanderung und blieb in unserer Familie."
"Das ist wirklich etwas ganz Außergewöhnliches, dass wir eine Thora-Rolle aus einer Familie bekommen. Sowas gibt's eigentlich fast gar nicht."

Als Rudi Leavor vor zehn Jahren bei der Eröffnung des Jüdischen Museums in Berlin war und gefragt wurde, ob er - neben anderen Objekten - auch die Thora seines Vaters dem Museum überlassen wolle, war die Antwort noch ein eindeutiges Nein.

"Also es dauerte eine zehnjährige Schwangerschaft, bis ich mich entschlossen habe, die Thora doch dem Museum zu schenken."