Jüdisches Leben im Ländle der Täter

Von Lea Hampel · 09.08.2013
Die vierteilige Reihe "Zukunft im Land der Täter" veranschaulicht das Leben der Augsburger Juden nach dem Holocaust. Teil zwei widmet sich den Erfahrungen der Juden in der Stadt zwischen 1950 und 1969 - die Zeit des Wirtschafswunders und der Wiedergutmachung. Ehemalige und heute Augsburger erzählen von ihren Erinnerungen.
Auf den ersten Blick sieht es unscheinbar aus, das gelbe, im Vergleich zu den umstehenden Gebäuden niedrige Haus zwischen Hauptbahnhof und Königsplatz in Augsburg. Dass hinter diesen Mauern an der breiten, viel befahrenen Straße Kultur, Geschichte und Religion warten, ahnt man nicht - bis das alte Metallschild in Sichtweite gerät. "Israelitische Kultusgemeinde" steht darauf, daneben eine grüne Metallgittertür, durch die der Hof zu sehen ist.

Summt es und die Tür geht auf, fühlt es sich schon mehr nach einem besonderen Ort an: Die Kuppel der Synagoge ist von hier unten zu sehen, ringsherum ranken Pflanzen die alten Mauern hoch, und links lockt eine dunkle Holztür. Dahinter verbirgt sich seit bald 30 Jahren das Jüdische Kulturmuseum Augsburg-Schwaben.

Zwei Generationen noch, davon ging der damalige Gemeindevorsitzende Julius Spokojny Anfang der 80er Jahre aus, dann wäre jüdische Geschichte in Augsburg zu Ende. Deshalb ließ er ein Museum errichten, eines das in vieler Hinsicht ein besonderes ist, damals wie heute: Zum einen erklärt es jüdische Kultur und Religion – was zu einer Zeit, in der viele Deutsche das Wort Holocaust gerade erst buchstabieren gelernt hatten, keine Selbstverständlichkeit war. Zum anderen arbeitet das Museum seit fast 30 Jahren unabhängig von der Gemeinde. Es wird finanziert von einer Stiftung und aus öffentlichen Geldern. Damals war es das erste seiner Art in Deutschland – mittlerweile hat sich dieses Konzept in Städten wie München und Berlin durchgesetzt.

"Man kann glaube ich nicht oft genug betonen, wie ungewöhnlich das damals war und dass das eine Pioniertat war. Es hat halt eben doch lange gedauert, bis jüdische Museen sich als Idee durchgesetzt haben. Und heute, das Jüdische Museum Berlin, ist in aller Munde, jeder denkt, das hat es schon immer gegeben. Man darf nicht vergessen, das gibt es gerade mehr als zehn Jahre, ja?"

Entsprechend wenig Erfahrung gab es mit der Ausstellung jüdischen Lebens. Vor allem Ritualgegenstände waren zu sehen, man versuchte, von der Torah bis zu den Feiertagen das Judentum grundsätzlich zu erklären. Nach wie vor bildet eine Torah-Rolle den Auftakt der Ausstellung. Und doch geht das 2006 geschaffene Konzept darüber hinaus. Wie in der Geschichtswissenschaft hat auch in Augsburg die Regionalgeschichte an Bedeutung gewonnen.

Im ersten Stock des Gebäudes sind traurige wie heitere Abschnitte der 800 Jahre Judentum in der Fuggerstadt erzählt: Briefe, Bilder und Tagebucheinträge zeugen von den ersten Juden im 13. Jahrhundert über die Blütezeit jüdischen Handels in der frühen Neuzeit bis zur der Eröffnung der kleinen Synagoge 1963. Vor allem im 16. und 17. Jahrhundert war das jüdische Leben der Region wichtig. Es gab Orte, in denen Juden die Bevölkerungsmehrheit stellten, und einen eigenen Typus der "schwäbischen Synagoge". Und doch ereilte auch die Augsburger Juden im 20. Jahrhundert das Schicksal der meisten europäischen Juden: Vertreibung, Flucht und Vernichtung.

"Und da finde ich ist eines besonders anrührend. Das ist dieser ganz ganz einfache Schlüssel, der … zum Haus einer Familie in Binswangen gehörte und als diese Familie Binswangen 1937 verlassen hat, weil sie nach Palästine ausgewandert ist, haben sie den Schlüssel mitgenommen und der hing am Schlüsselbrett der Familie und der Tochter in Israel, bis wir ihn 2005 bekommen haben. Und da zeigt sich, wie viel man an einem Objekt erzählen kann, wenn man weiß, aus welchem Zusammenhang es kommt."

Eigenes zu entdecken, Geschichten aufzuzeigen, die sonst einer breiten Öffentlichkeit unbekannt bleiben, ist Museumsdirektorin Benigna Schönhagen wichtig:

"Vor allen Dingen soll es immer ein Stück unbekannte Augsburger Geschichte oder schwäbische Geschichte zeigen. So haben wir eben letztes Jahr mit dieser Ausstellungsserie angefangen, die in vier Teilen die Augsburger jüdische Nachkriegsgeschichte zeigt – und das ist ein wirklich völlig unbekanntes Kapitel der Augsburger Stadtgeschichte."

"Zukunft im Land der Täter – Jüdisches Leben nach der Katastrophe" ist der Titel dieser Reihe. Der zweite Teil, vor wenigen Wochen im Foyer eröffnet, widmet sich der Phase von 1950 bis 1969 – die selbst für Kuratorin Andrea Sinn Neuland war.

"Es gibt noch keine geschriebene Geschichte derjenigen, die als Kinder das Schicksal ihrer Eltern erlebt haben, übernommen haben und deren Biografien dadurch geprägt ist. Und das ist ein Aspekt, zu dem die Ausstellung beitragen möchte."

Nach dem Schneeballprinzip hat Andrea Sinn sich bei ehemaligen und heutigen Augsburgern durchgefragt, Menschen getroffen – und Stück für Stück unbekannte Augsburger Geschichte zusammengetragen.

"Es gab Menschen, die sehr erstaunt waren über meine Frage, wie sie sich erinnern an diese Zeit und was für sie wichtig war, weil das für sie nicht Thema war. Es gab andere, die mit diesem Kapitel abgeschlossen haben, die sich nicht erinnern wollten, für die die Erinnerungen sehr sehr schmerzhaft sind. Für mich war im Rahmen der Recherchen sehr sehr spannend festzustellen, wie nach und nach ein Narrativ erst im Entstehen ist, derer die zurückblicken und sich erinnern. Die Kinder der zweiten Generation, also die Kinder der Überlebenden, sind einfach heute noch sehr aktiv, und man beginnt erst langsam zu formulieren, wie die Geschichte sich auf ihre Biografien ausgewirkt hat."

Gemeinsam mit ihnen hat Kuratorin Sinn erarbeitet, welche Dinge sie an ihre Verwandten erinnern – und welche den Museumsbesuchern die Geschichte der deutschen und der osteuropäisch geprägten Nachkriegsgemeinden am besten erzählen. Es geht um Verzweiflung und Aufbruch, Wiedergutmachung und Wirtschaftswunder, illustriert anhand persönlicher Gegenstände – vom Foto bis zur Schreibmaschine.

"Ein Beispiel ist die Geschichte von Mietek Pemper. Mietek Pemper ist heute eigentlich vor allem durch Schindlers Liste bekannt. Er war entscheidend an der Ausarbeitung der Rettung der Juden im Konzentrationslager Plaszow beteiligt. Und ist durch den Film bekannt geworden. Er hat sich allerdings schon 1958 in Augsburg niedergelassen. Für ihn ein sehr typisches Objekt ist die Schreibmaschine, die Schreibmaschine hat ihn begleitet als Schreiber, als persönlicher Schreiber von Amon Göth, sie war aber dann auch deutlich später für ihn das Hilfsmittel um seine Autobiografie zu schreiben."

Diese persönlichen Geschichten von Augsburger Juden machen die Verbindung zwischen Stadt, Museum und Gemeinde enger. Sie vermitteln eine Ahnung davon, wie schwierig es gewesen sein muss, nach dem Holocaust in Deutschland zu bleiben, aber auch, hier weg zu gehen. Und welch Glück es ist, dass es heute – vor allem aufgrund russischer Zuwanderer - noch eine Gemeinde in der 270.000-Einwohner-Stadt gibt. Schulklassen aus ganz Bayern kommen her, Touristen und Menschen, die Spuren ihrer Vorfahren suchen. Wenn Zeitzeugen von ihren Erfahrungen berichten, stehen die Menschen bis auf die Straße an. Hat das Museum das einst von Gemeindevorstand Julius Spokojny gesetzte Ziel der Versöhnung erreicht?

"Versöhnung, das ist typisch, das in den 50er, 60er, 70er Jahren so zu nennen, es sind andere Generationen da, wir erreichen ja jetzt Jugendliche, deren Großeltern vielleicht die NS-Zeit noch erlebt haben und wo es um die Frage der Versöhnung gehen würde, sondern es geht darum, kennenzulernen, Hemmungen abzubauen, das finde ich ist ein ganz ganz wesentliches Ziel jedes Museums, Hemmungen vor einem Museum abzubauen. Ich glaube schon, dass das Museum schon auch Kenntnisse vermitteln soll. Aber vor allen Dingen soll es zu Erkenntnis führen, und das geht über Fragen und wenn man hier raus kommt und an manchen Stellen denkt: Boah, das habe ich nicht gewusst und da würd ich gern noch mehr drüber wissen oder das war ja spannend, dann ist finde ich genau das gelungen, was passieren soll."


Link zur Ausstellung im Jüdischen Kulturmuseum Augsburg-Schwaben:

Jüdisches Leben in Augsburg nach der Katastrophe Teil 2