Fiona Apples neues Album

Späte Genugtuung

06:41 Minuten
Eine Frau mit Brille und langen dunkelbraunen, lockigen Haaren steht auf einer blau beleuchteten Bühne und blickt nachdenklich.
Seit den 90ern unbequem: Fiona Apple. © Getty Images / Gary Miller
von Christoph Reimann · 17.04.2020
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Früher galt sie als "schwierig", doch mit ihrem neuen Album "Fetch the Bolt Cutters" beweist Fiona Apple, dass sie ihrer Zeit einfach nur voraus war. Das findet zumindest Christoph Reimann.
Willst du gelten, mach dich selten. Bei Fiona Apple hat das geklappt. Mitte der Neunziger hat sie ihre erste Platte rausgebracht – und sich mit den zum Teil bitteren Songs aus dezidiert weiblicher Perspektive gleich einen Namen gemacht. Aber die Pausen zwischen den Platten wurden immer größer. Jetzt waren es sogar stolze acht Jahre, die Fiona Apple verstreichen lassen hat, bis sie mit "Fetch the Bolt Cutters" ihr fünftes Album veröffentlicht hat.

Was Gillian Anderson mit dem Albumtitel zu tun hat

Mit dem merkwürdigen Albumtitel setzt Fiona Apple eine Tradition fort, die sie mit ihrem zweiten Album von 1999 angefangen hat, das immer nur "When the Pawn" genannt wird, aber eigentlich einen 444 Buchstaben langen Namen hat – damals ein Rekord.
Seinen Titel trägt "Fetch the Bolt Cutters", weil Fiona Apple ihn in der TV-Serie "The Fall" aufgeschnappt hat, in der Akte-X-Star Gillian Anderson eine Kommissarin spielt, die Missbrauchsfälle untersucht. Und in einer Szene findet sie eine verschlossene Tür, hinter der ein Mädchen missbraucht wurde und sagt dann: "Hol den Bolzenschneider".

Ganz besonders nahbar

Das passt zu den ernsten Themen, die schon immer Fiona Apple besungen hat. So hat sie in ihrer Musik auch schon ihre Vergewaltigung thematisiert. Es ging um böse Beziehungsenden, um Traumata und Verlustängste. Auch beim neuen Album ist das nicht anders.
Ihr Song "Newspaper" erzählt die Geschichte von zwei Frauen, die ganz unverhofft etwas verbindet. Nämlich, dass sie beide von demselben Mann missbraucht worden sind. Etwas, das natürlich an prominente MeToo-Fälle der vergangenen Jahre erinnert, aber hier nicht zwangsläufig mit dem Hollywood der Superreichen zu tun hat. Eher geht es um etwas, das auch "normalen" Frauen passieren kann und dadurch eine ganz besondere Nahbarkeit erhält.

Hart, aber mit Trotz und Hoffnung

Und auch wenn das erstmal deprimierend klingt, ist es das nicht. Denn in den Liedern ist auch immer eine Gefährtinnenschaft deutlich zu spüren, ein geteiltes Empfinden, aus dem Stärke entsteht. So auch der Track "For Her", den Fiona Apple nach den Anhörungen um den Vorwurf der versuchten Vergewaltigung, die Christine Blasey Ford gegen den späteren Supreme-Court-Richter Brett Kavanaugh vorgebracht hat.
In dem Song heißt es: "Du hast mich in demselben Bett vergewaltigt, in dem auch deine Tochter auf die Welt gekommen ist." Das sind natürlich harte Zeilen, in denen aber auch so etwas wie Trotz oder Hoffnung steckt. Zum Beispiel, wenn Fiona Apple wenig später Kate Bush zitiert und singt: "Running up that hill", aber dort noch ein "I will" hinzufügt – also: "Ich werde das hier irgendwie überstehen."

Toter Hund hat zum Album beigetragen

An solchen Stellen wird deutlich, dass sich die Perspektive, aus der Fiona Apple berichtet, geändert hat. Sie ist nicht mehr die unsichere Ich-Erzählerin, die Teenagerin, wie zu ihren Anfangszeiten. Vielmehr ist sie eine starke auktoriale Erzählerin von 42 Jahren, die die Gesellschaft beobachtet, die eine weibliche Gemeinschaft beschwört, die Hoffnung geben will.
Musikalisch wird "Fetch the Bolt Cutters" von Percussion und Rhythmen dominiert. Fiona Apple hat das Album mit anderen Musikerinnen und Musikern bei sich zu Hause aufgenommen und dabei selbst auf allem herumgehauen, was sie gefunden hat – inklusive des Knochens ihres verstorbenen Hundes. Das, in Kombination mit vielen choralen Sprechgesängen, verleiht der Platte eine Art Appell-Charakter.

Eine, die sich nie unterkriegen ließ

Das Album passt großartig in diese Zeit und könnte so etwas wie eine späte Genugtuung für Fiona Apple sein, die schon Ende der Neunziger über Themen wie Vergewaltigungen, Essstörungen und autoaggressives Verhalten gesungen hat. Damals wurde Frauen noch nicht zugestanden, solche Themen in die Öffentlichkeit zu tragen. Fiona Apple wurde oft als "schwierig" abgestempelt – insbesondere von männlichen Journalisten.
Doch jetzt leben wir in einer Zeit, in denen Frauen Gehör geschenkt wird und in der auch die wiederentdeckt und gefeiert werden, die sich damals nicht unterkriegen ließen.
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