Filmfestspiele an der Cote d’Azur

Verpasste Chancen für Cannes

Das Filmteam von "Toni Erdmann" um Schauspieler Peter Simonischek (M.), Regisseurin Maren Ade (3. v. r.) und Schauspielerin Sandra Hüller (2. v. r.).
Das Filmteam von "Toni Erdmann" um Schauspieler Peter Simonischek (M.), Regisseurin Maren Ade (3. v. r.) und Schauspielerin Sandra Hüller (2. v. r.). © picture alliance / dpa / Hubert Boesl
Von Susanne Burg · 23.05.2016
Natürlich muss und soll eine Jury frei über die Prämierung eines Films entscheiden. Den Wettbewerbsbeitrag "Toni Erdmann" aber komplett leer ausgehen zu lassen, irritiert Kritikerin Susanne Burg doch sehr. Frischer Wind bei den Preisen hätte Cannes gut getan.
Man kann sich vorstellen, dass es schwierig ist in einer Jury. Neun Menschen müssen sich einigen und entscheiden, wer die Preise bekommt. So unterschiedliche Menschen wie der Mad-Max-Regisseur George Miller, die französische Schauspielerin und Sängerin Vanessa Paradis und Laszlo Nemes, der ungarische Filmemacher, der in diesem Jahr den Oscar gewonnen hat für sein Holocaust-Drama "Son of Saul".
Aber wie kann es sein, dass die Welt der Jury sich so wenig deckt mit der restlichen Filmwelt? Denn noch nie waren sich Kritiker, Produzenten, Verleiher derart einig: Maren Ades "Toni Erdmann" ist ein Meisterwerk, lustig, traurig, berührend und ganz eigen. Noch nie hat es so viel Szeneapplaus bei einer Pressevorführung in Cannes gegeben, noch nie haben die zwölf internationalen Kritiker, die für das Branchenmagazin Screen die Wettbewerbsfilme bewerten, eine so hohe Punktzahl vergeben: 3,8 von 4.
Natürlich darf die Jury die Meinung anderer nicht interessieren, aber wie kann man die Leistung dieses Films derart verkennen und ihn einfach völlig leer ausgehen lassen?

Auszeichnungen für Altbewährtes

Gegen die Goldene Palme für Ken Loach ist nichts zu sagen. "I, Daniel Blake" ist ein ergreifender Film, und mit einer politischen Botschaft noch dazu. Aber es ist dann eben doch wieder ein guter alter regelmäßiger Gast in Cannes ausgezeichnet worden, der fast 80-Jährige große linke Kämpfer des britischen Kinos.
Wenn man’s freundlich ausdrückt, haben Regisseure mit einer eigenen Handschrift gewonnen, und wenn man nicht so freundlich ist: deren Machart zur Masche geworden ist, wie bei Xavier Dolan, dem 27-jährigen Frankokanadier, der sich gerne als junger Wilder sieht und das in seiner hysterischen Theateradaption von "Juste a la fin du monde" nun auf die Spitze treibt.
Der Regisseur, der mit allen seinen sechs Filmen bisher in Cannes oder Venedig war, bekam in diesem Jahr den zweitbesten Preis, den Großen Preis der Jury. Auch beim Regiepreis für den Rumänen Christian Mungiu und den Franzosen Oliver Assayas und beim Preis fürs beste Drehbuch für den Iraner Asghar Farhadi gilt: die Regisseure haben keine Meisterwerke vorgelegt, sondern Remixe ihrer alten Themen.
Es sind verpasste Chancen für Cannes. Auch ein so renommiertes Festival hätte frischer Wind bei den Preisen gut getan, den Newcomerin Maren Ade an die Cote d’Azur gebracht hat. Nun bleibt doch ein bisschen das Gefühl von stickiger Luft.
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