Ferenc Barnás: „Bis ans Ende unserer Leben“

Die Hölle Großfamilie

06:09 Minuten
Cover von Ferenc Barnás: „Bis ans Ende unserer Leben“.
© Verlag Schöffling & Co.

Ferenc Barnás

Eva Zador

Bis ans Ende unserer LebenSchöffling, Frankfurt am Main 2022

509 Seiten

28,00 Euro

Von Jörg Plath · 08.07.2022
Audio herunterladen
Die Liebe verändert nicht alles, lässt es aber besser aushalten: die neun Geschwister, den strengen Vater, den Tod der Mutter, die Demütigungen. Beinahe erträglich wird alles für Sebi, weil Ferenc Barnás seinem Protagonisten ein spätes Glück schenkt.
Ferenc Barnás‘ bisher auf Deutsch vorliegende Romane „Der Neunte“ und „Ein anderer Tod“ sind ausgesprochen düster und niederschmetternd. Auch im neuen Buch des Ungarn mit dem Titel „Bis ans Ende unserer Leben“ kommen Hass, zerstörerische Selbstzweifel und Schuldgefühle nicht zu kurz. Doch erstmals fällt in die Verliese einer traumatisierten Seele Licht.
Sebestyén Paulich, Sebi genannt und mit neun Geschwistern aufgewachsen, schreibt mit gut 50 Jahren ein Buch über seine Kindheit, in dem er den Vater einen Despoten nennt. Dieser liest das Buch nicht, jedoch eine Rezension und bricht den Kontakt zum Sohn erbost ab. Als kurz darauf die Mutter an Krebs stirbt, wird Sebi nicht einmal von den Geschwistern benachrichtigt.

Vergiftetes Familienleben

Barnás, Jahrgang 1959 und mit einigen Preisen ausgezeichnet, schildert in knappen, lebendigen Szenen das Familienleben von Konfliktunfähigen. Der nur „Vater“ genannte rüstige Alte schließt seine Äußerungen stets mit einem „Pax!“ ab, womit keinesfalls Frieden, nur Grabesruhe einkehrt. Die erwachsenen Kinder ordnen sich sklavisch unter oder weichen ins Ausland aus, verfallen dem Spiel, dem Alkohol, dem Geld. Treffen sie sich unter vier Augen, werden Intrigen gesponnen.

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Die Atmosphäre ist vergiftet, alle sind verletzt und gedemütigt, suchen es aber zu verbergen. Jede familiäre Begegnung ist Gunstbeweis und Erniedrigung zugleich, denn immer wird jemand ausgeschlossen und bekommt es mitgeteilt.
Ivan, der älteste Bruder Sebis, vollbringt bei der Hochzeit seiner Tochter gar das Kunststück, die Geschwister und ihren Anhang mit Billigwein und Pogatschen abzuspeisen, um dann im benachbarten Restaurant fürstlich und klammheimlich mit dem Hochzeitspaar zu speisen. Einer der knapp 50 Zurückgelassenen bekommt es natürlich spitz und teilt sein Wissen gern.

Politisch zerrissenes Ungarn

Ein gänzlich anderes Familienleben lernt Sebi durch seine Geliebte Lil kennen, die aus der akademischen Intelligenz Ungarns stammt. Ihre Verwandten sind an Literatur, Musik und Kunst interessiert und pflegen gemeinsame Erinnerungen.
Barnás schildert auf diese Weise in plastischen Szenen das Ungarn von 1956 unter Janos Kadár bis in die Gegenwart. Lil denkt konservativ und arbeitet für einen ebensolchen Politiker, Sebi ist ein Linker und hält sich von der Politik, insbesondere der regierenden rechten Partei fern. Ferenc Barnás zeigt ein tief zerrissenes Ungarn.

Tief melancholischer Erzähler

Ein realistischer oder Gesellschaftsroman will sein Buch jedoch nicht sein. Im Zentrum steht ein tief melancholischer Erzähler, der in ungeheurer, nicht nachlassender Intensität von rasenden Selbstzweifeln, Unglücken und Erniedrigungen erzählt, auch vom Grübeln über den Zusammenhang von Schreiben, Wahrnehmung und Bildern – und von dem späten Glück mit Lil, die ihm in vielem seelenverwandt ist, nicht zuletzt im tagelangen Schweigen.
Diese alles durchdringende, von Eva Zador ins Deutsche übertragene Intensität hält den Roman zusammen und macht ihn zu einem Ereignis.
Mehr zum Thema