Kunstfreiheit in Russland

Wie der Kreml gegen die kritische Kulturszene vorgeht

05:50 Minuten
Ein Wandbild auf einem Gebäude in St. Petersburg, das den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny zeigt mit dem Schriftzug "Der Held einer neuen Zeit", wird kurz nach seiner Entdeckung übermalt.
Übermalt: Kunst, die die russische Opposition unterstützt oder die Staatsmacht kritisiert, wird zunehmend mundtot gemacht. © imago images/Alexander Demianchuk/TASS
Von Florian Kellermann · 03.05.2021
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Nachdem Alexej Nawalny in Haft genommen wurde, geht die russische Staatsführung nun gegen seine Organisationen und deren Unterstützer vor. Anwälte werden verhaftet, Theateraufführungen beendet und Journalisten unter Druck gesetzt.
Die russische Staatsmacht geht nicht nur gegen die Organisationen von Alexej Nawalny vor, sondern auch gegen Personen aus deren Umfeld. Jüngstes prominentes Beispiel: der Anwalt Iwan Pawlow. Er wurde in der vergangenen Woche festgenommen. Er darf weder das Internet noch sein Mobiltelefon benutzen.
80 Journalisten und Schriftsteller protestierten dagegen gestern mit einem offenen Brief, darunter die Autorin Alla Gerber. Dem Fernsehsender Doschd sagte sie:
"Ich habe auch eine juristische Ausbildung. Ich weiß, dass ein Anwalt frei und vom Staat unabhängig sein muss. Aber hier stürzt sich der ganze Staatsapparat auf Iwan Pawlow, weil die Machthabenden ein klares Feindbild haben, weil sie ihn als Verräter ansehen."

Künstler werden zur Zielscheibe der Behörden

Die Vorwürfe gegen Pawlow betreffen den Prozess gegen einen Journalisten, der vor zehn Monaten festgenommenen wurde. Sie wurden jedoch gerade jetzt erhoben, als der Anwalt die Verteidigung von Nawalnys Organisation "Fonds zur Korruptionsbekämpfung" FBK übernahm. Im Verfahren, mit dem die Staatsanwaltschaft die Organisation als "extremistisch" einstufen lassen will.
Der russische Anwalt Iwan Pawlow, der eine von Kreml-Kritiker Alexej Nawalnys Organisationen vor Gericht vertreten wollte, sieht sich nun mit Anschuldigungen in einem anderen Fall konfrontiert. 
Der russische Anwalt Iwan Pawlow, der eine von Alexej Nawalnys Organisationen vor Gericht vertreten sollte, sieht sich nun selbst mit Anschuldigungen konfrontiert. © imago images/Vyacheslav Prokofyev/TASS
Künstlerinnen und Künstler, die Nawalny unterstützen oder sonst gegen die Staatsmacht protestieren, werden indes selbst zur Zielscheibe der Behörden. So auch am vergangenen Wochenende. In Moskau beendete die Polizei gewaltsam eine Premiere im Theater Dok.

Polizei löst Theateraufführungen auf

Eine halbe Stunde nach Beginn der Aufführung mussten Schauspieler und Zuschauer den Raum verlassen – angeblich wegen einer Bombendrohung. Regisseur Sergej Gindilis sagte dem Radiosender Echo Moskwy:
"Wir wollten die Aufführung unter freiem Himmel fortsetzen, auf der Treppe vor dem Theater. Aber die Polizei vertrieb uns auch von dort. Wir sind dann auf die Straße gegangen und haben es dort versucht. Aber auch dort kamen Polizisten vorbei und haben gedroht, uns zu verhaften. Wir verstießen gegen die Versammlungsbeschränkungen, hieß es. Dabei haben wir alle Masken getragen und die Abstandsregeln eingehalten."
Das Stück "Nachbarn" verarbeitet die Ereignisse in Belarus im vergangenen Jahr. Schauspielerinnen und Schauspieler sprechen die authentischen Berichte von Protestierenden nach, die zum Teil in Gefängnissen gefoltert wurden. Damit richtet sich das Stück indirekt auch gegen die Politik des Kremls, der das belarussische Regime stützt.

Ausstellungen in Kellergalerien

Ähnlich wie dem Theater Dok erging es am Wochenende Künstlern in Sankt Petersburg. Sie wollten mit Gemälden und Collagen, die sie in einem Park präsentierten, auf die politischen Gefangenen hinweisen. Es dauerte kaum fünf Minuten, bevor die Polizei die Veranstaltung auflöste.
Pawel Krisewitsch, einer der Künstler, sagte gegenüber Doschd:
"Alle haben sich daran gewöhnt, dass die Künstler in Kellergalerien ausstellen. Wir wollten aber, dass alle sehen, welche Willkür in Russland herrscht. Ja, die Polizei kommt auch in die Galerien und wirft uns raus, wenn wir politische Kunst machen. Aber so haben das wenigstens mehr Menschen mitbekommen."
Ein Polizist in Zivil versucht, den Oppostionskünstler Pawel Krisewitsch nach einer seiner Aktionen zur Unterstützung von Alexej Navalny und gegen Massenverhaftungen in Moskau im Januar 2021 festzunehmen. 
Künstler seien daran gewohnt, in „Kellergalerien“ auszustellen, erklärt Pawel Krisewitsch, der selbst schon mit der Staatsgewalt in Konflikt geraten ist.© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | George Markov
Die Luft wird immer dünner für alle in Russland, die abseits der offiziellen Linie des Kremls denken und schaffen. Das bekam nun auch die Internet-Zeitung "Meduza" zu spüren. Weil sie teilweise aus dem Ausland finanziert wird, muss sie sich seit zehn Tagen selbst als "ausländischer Agent" bezeichnen.

Internet-Zeitung als "ausländischer Agent" gebrandmarkt

Das Justizministerium trug "Meduza" in eine entsprechende Liste ein. Jede Nachricht auf der Internetseite muss nun mit diesem Hinweis versehen werden. Für das Portal habe das verheerende finanzielle Folgen, erklärte die Generaldirektorin Galina Timtschenko:
"Es gibt nur noch wenige Firmen, die bei uns Werbung schalten wollen, die allermeisten haben wir verloren. Einige haben sogar gebeten, dass wir ihre Werbung aus Archivmaterial von uns entfernen. Der russische Staat hat mit dem Finger auf uns gezeigt und uns als Feinde bezeichnet. Und wer will schon Kunde bei Staatsfeinden sein."
Für "Meduza" sei es auch viel schwerer geworden, an Informationen zu kommen, so Galina Timtschenko. Viele bisherige Quellen hätten schlicht Angst, mit einem Medium zu sprechen, das als "ausländischer Agent" zählt. Journalistinnen und Journalisten fühlten sich zudem persönlich unter Druck. Einige würden jetzt lieber umsonst arbeiten, als ein Honorar zu beziehen – ebenfalls aus Angst, ins Visier der Staatsmacht zu geraten.
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