Familien in der Corona-Krise

Wie Frauen und Kinder auf sich gestellt sind

54:01 Minuten
Illustration einer Frau, die an einem Tisch vor einem Laptop sitzt. In der einen Hand das Telefon, im anderen Arm ein kleines Kind. Ein weiteres Kind spielt auf dem Fußboden.
Frauen haben in der Corona-Pandemie das Gefühl, dass von ihnen erwartet wird, sich neben der Arbeit auch noch um die Familie zu kümmern. © Getty Images/iStockphoto
Moderation: Christian Rabhansl · 26.03.2022
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Vor allem die sozialen Lasten während der Pandemie gehen auf Kosten von Frauen und Kindern, zeigen die Journalistinnen Silke Fokken und Sabine Rennefanz in ihren beiden Büchern. Das hat auch mit einem veralteten Rollenbild zu tun.
Zu Beginn der Pandemie hieß es in Bezug auf das Virus „Wir sitzen alle in einem Boot“. Doch mit Blick auf die sozialen Bedingungen in der Pandemie stellt die Journalistin Sabine Rennefanz fest, dass die Lasten sehr ungleich verteilt seien. Deswegen heißt ihr Buch „Frauen und Kinder zuletzt“.
„Ich habe das Buch für alle Frauen geschrieben, die immer viel gearbeitet haben und damit gekämpft haben, Familie und Beruf zusammenzubringen“, sagt Rennefanz im Gespräch im Essener Grillo-Theater.

Alte Rollenbilder kommen zurück

Sie hatte während der Pandemie das Gefühl, dass von Frauen im Homeoffice ganz selbstverständlich erwartet wurde, zusätzliche Aufgaben, wie die Kinderbetreuung zu übernehmen. Sie fühlte sich mit dieser Schwierigkeit alleingelassen. „Plötzlich kamen alte Rollenbilder zurück. Und da hatte ich das Gefühl, darüber schreiben zu müssen“, erzählt sie.
Porträt von Sabine Rennefanz in einem grünen Oberteil.
© Sven Gatter
Silke Fokken ist Bildungsredakteurin beim SPIEGEL. Am Anfang der Pandemie hieß es mit Blick auf Kinder und Jugendliche, es sei eine verlorene Generation. Sicherlich gebe es unter ihnen welche, denen es wirklich nicht gutgegangen ist. Aber Fokken beschreibt in ihrem Buch „Krisenkinder“ etwas Grundsätzlicheres.
Ihr gehe es darum, wie unsere Gesellschaft mit Kindern umgeht, wie die Infrastruktur für Kinder und Jugendliche aufgestellt ist. Und da müsse sich dringend etwas ändern, ist sie der Meinung. Das betrifft alle Systeme vom Kindergarten über die Schule bis zur Kinder- und Jugendhilfe. Es müsse sich etwas an der gesellschaftlichen Haltung ändern.

So, wie wir mit Kindern und Jugendlichen umgehen, geht es nicht weiter.

Silke Fokken, Journalistin und Autorin

Jens Dirksen, Kulturchef der WAZ, erzählt, dass seine Kinder zwar schon erwachsen seien, doch beim Lesen der Bücher sei ihm klargeworden, dass es in Bezug auf die Rechte von Kindern und die Ausstattung für Kinder einen regelrechten Innovationsschub braucht.

Kennenlernen mit Masken

Am Beispiel seines eigenen Sohnes, der in der Pandemie Abitur gemacht hat, erzählt Dirksen von Schulaufgaben, die per E-Mail verschickt wurden.
„Es ist eine abenteuerliche Vorführung dessen, was das deutsche Schulsystem an digitalen Fertigkeiten aufzuweisen hat.“ Das sei ihm reichlich absurd vorgekommen, erzählt er.
Bei der Einschulung ihres Sohnes während der Pandemie hat Sabine Rennefanz ihr Kind beobachtet. Wie alle anderen saß auch ihr Sohn mit Maske dort. In den ersten Wochen habe sie beobachtet, dass ihm durch die Maske die Orientierung in der Klasse und die Interaktion mit Mitschülern schwergefallen sei. „Die Kinder lernten sich gegenseitig gar nicht richtig kennen“, erzählt Rennefanz.
Silke Fokken ergänzt, die sozialen Kompetenzen über das Verhalten in einer Gruppe gehen verloren, wenn der persönliche Kontakt fehlt. In ihren Gesprächen mit Lehrerinnen und Lehrern habe sie erfahren, dass die auch sonst vorhandenen Unterschiede der Kinder in der Grundschule sich in der Pandemie noch verstärkt haben.
Manche Kinder wurden zu Hause durch ihre Eltern sehr gefördert, bei anderen konnte dies aus unterschiedlichen Gründen nicht geleistet werden. Dadurch seien die unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen noch deutlicher geworden, sagt sie.

Homeoffice als Widerspruch

Das Homeoffice galt lange vor der Pandemie als ein Ideal für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Nach den jüngsten Erfahrungen bezeichnet Sabine Rennefanz das Homeoffice in ihrem Buch als einen „in einen Raum gegossenen Widerspruch“.
Einerseits sieht sie die Vorteile des Models. Doch in der Realität der Pandemie gehörte plötzlich auch die Kinderbetreuung dazu. Hinzu kommt, dass ihre Berliner Mietwohnung räumlich nicht darauf ausgelegt sei, Kindergarten und Büro für zwei Erwachsene zu sein.
Sie selbst habe sich immer für sehr emanzipiert gehalten. Doch als sie zu Hause bleiben musste, stellte sie fest, dass sie selbst in ein altes Rollenmuster verfiel. Von der Wäsche über den Einkauf bis zum Essenkochen riss sie alles Mögliche an sich, erzählt sie. Und wenn die Kinder riefen, fühlte sich primär sie zuständig, während ihr Mann viele Dinge gut ausblenden konnte.
Obwohl er auch viele Dinge übernommen habe und sie sich ihre Arbeit einteilen konnte, so fragte sich Rennefanz, wenn sie in ihrer komfortablen Position es nicht schafft Arbeit und Familie miteinander zu vereinbaren, wie sollen es diejenigen schaffen, die nicht alle diese Möglichkeiten haben.

Homeschooling und Familie quasi nebenbei

Auch Fokken kritisiert, dass es oft als selbstverständlich angesehen wurde, familiäre Aufgaben während der Arbeitszeit im Homeoffice quasi nebenbei mitzuerledigen. Das sei eine Missachtung von Kindern und Jugendlichen und auch von Frauen, sagt sie.
Porträtfoto von Silke Fokken in einem roten Pullover.
"Es muss sich an der gesellschaftlichen Haltung gegenüber Kindern und Jugendlichen etwas ändern", fordert Silke Fokken.© Babette Brandenburg
Besonders in Bezug auf das Homeschooling habe sich die Politik darauf verlassen, dass das in den Familien aufgefangen würde. Rennefanz zeigt in ihrem Buch im Ländervergleich Parallelen auf zwischen der Dauer von Schulschließungen und dem Abschneiden bei PISA-Studien. In Ländern, die traditionell gut bei PISA-Studien abschneiden, wurden Schulen nur kurz oder gar nicht geschlossen.
Zwischen der Benachteiligung von Frauen in der Pandemie und der Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen durch Schulschließungen sieht auch Fokken einen Zusammenhang.
In Schweden seien Schulen nur 31 Tage geschlossen gewesen. Gleichzeitig zeigen Studien, dass in Schweden die Selbstverständlichkeit, dass Frauen erwerbstätig sind, deutlich höher ist als in Deutschland. Hierzulande waren Schulen über 180 Tage geschlossen. Ein konservatives Denken habe in Deutschland dazu beigetragen, dass das geht, sagt Fokken.

Es gab zu wenige Ansätze, sich kreative Lösungen zu überlegen, wie wir alle zusammen gut durch die Pandemie kommen und wie alle Kinder von Bildung profitieren können.

Silke Fokken, Bildungsredakteurin beim "Spiegel"

Stattdessen habe man probiert, Lösungen zu finden, die weitgehend dem gewohnten Weg entsprachen und dann seien genau die benachteiligt gewesen, die am dringendsten Hilfe gebraucht hätten, meint sie.

Kinder sollten wählen dürfen

In einer überalterten Gesellschaft haben die Alten eben eine Lobby und sitzen im Bundestag, gibt Jens Dirksen zu bedenken.
Rennefanz schließt daher mit einer weitreichenden Forderung. Es stelle sich die Frage, ob eine Abschaffung des Mindestalters bei Wahlen zu einem anderen Bewusstsein für die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen führen würde. Das sei aber vielleicht ein Thema für ein anderes Buch, meint sie.
Bei aller Kritik resümiert Fokken dennoch, dass in der Pandemie nicht alles schlecht gewesen sei. Vieles wurde über den Haufen geworfen und habe Raum für Neues geschaffen. Auch in Bezug auf Schule und Bildung ließen sich Lehren daraus ziehen.

Sabine Rennefanz: „Frauen und Kinder zuletzt - Wie Krisen gesellschaftliche Gerechtigkeit herausfordern“
Ch. Links Verlag, Berlin 2021
144 Seiten, 18 Euro

Silke Fokken: „Krisenkinder - Wie die Pandemie Kinder und Jugendliche verändert hat und was sie jetzt brauchen“
DVA, München 2021
416 Seiten, 20 Euro

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