Fall Dschaber al Bakr

"Das kann man den Beamten nicht vorwerfen"

Ein Insasse der Justizvollzugsanstalt (JVA) Leipzig blickt durch die Gitterstäbe
Terrorverdächtige wie Dschaber al-Bakr stellen Justizvollzugsanstalten vor ganz neue Herausforderungen © picture alliance / dpa/ Sebastian Willnow
Katharina Bennefeld-Kersten im Gespräch mit Nana Brink  · 14.10.2016
Die Leiterin der Bundesarbeitsgruppe Suizidprävention im Justizvollzug, Katharina Bennefeld-Kersten, hat das Vorgehen der Kollegen in Sachsen im Fall Dschaber al-Bakr verteidigt. Sie forderte mehr Fortbildungen für die Justizvollzugsanstalten.
Sie glaube, dass al-Bakr nicht in dem Sinne selbstmordgefährdet war wie andere Gefangene, sagte die Leiterin der Bundesarbeitsgruppe Suizidprävention im Justizvollzug, Katharina Bennefeld-Kersten, im Deutschlandradio Kultur. "Terroristen haben ein ganz bestimmtes Ziel, sie wollen Schrecken und Angst verbreiten und sie dafür bereit, ihr Leben aufs Spiel zu setzen", sagte sie. Diese Gefangenen töteten sich nicht, weil sie mit dem Leben nicht mehr zurecht kämen, weil sie traurig oder einsam seien. "Sie töten sich, weil sie etwas anrichten wollen." In diesem Fall habe es al-Bakr geschafft, sich erneut den Ermittlern durch Flucht zu entziehen.

Andere Qualität der Selbsttötung

"Es handelt sich um eine andere Qualität der Selbsttötung, die da auf uns zu kommt", sagte Bennefeld-Kersten. "Ich glaube, das ist ein Thema, mit dem wir uns unbedingt intensiver beschäftigen müssen." Es gebe bisher wenige solche Fälle, aber die Justizvollzugsanstalten müssten sich darauf einstellen, dass die Gefangenen auch in Haft ihre Ziele weiter verfolgten. Sie versuchten sich mit möglicherweise großer Außenwirkung zu entziehen. "Sie sind nicht suizidal, wie wir es von unseren Gefangenen kennen." Die Psychologin sagte, sie halte weniger von einem Untersuchungsausschuss, sondern plädiere für eine Gruppe, bei der Experten hinzugezogen würden. "Da ist auch viel Fortbildung gefragt."

Sachsen ist bei der Suizidprävention eigentlich vorbildlich

Bennefeld-Kersten sagte, die Beamten in Sachsen seien auf so einen Fall nicht vorbereitet gewesen. "Ich finde, das kann man ihnen nicht vorwerfen." Gerade Sachsen sei eigentlich in seinen Konzepten zur Suizidprävention vorbildlich gewesen. "Deswegen ist es umso bitterer, wenn ausgerechnet sie mit einem solchen Fall jetzt derartig in die Presse geraten." Es betreffe alle Bundesländer, die mit einem solchen Problem konfrontiert werden könnten.
(gem)

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Es hätte nicht geschehen dürfen, sagte Sachsens Justizminister gestern nach dem Selbstmord des mutmaßlichen Sprengstoffattentäter Dschaber al-Bakr. Es wäre aber im Vorfeld nicht abzusehen gewesen, dass er gefährdet gewesen sei, so die offizielle Einschätzung der Verantwortlichen. Tatsache ist: Der Gefangene ist tot und kann somit auch nichts mehr aussagen zu den Beweggründen und dem Netzwerk, das er vielleicht gehabt hat. Die Psychologin Katharina Bennefeld-Kersten leitet die Bundesarbeitsgruppe Suizidprävention im Justizvollzug und sie war lange Direktorin der Justizvollzugsanstalt Celle. Schönen guten Morgen, Frau Bennefeld-Kersten.
Katharina Bennefeld-Kersten: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Muss man denn im Fall al-Bakr nicht davon ausgehen, dass so ein Gefangener besonders gefährdet ist? Also andersherum gefragt: Wann sind Gefangene besonders gefährdet?
Bennefeld-Kersten: Besonders gefährdet sind ganz generell jetzt erst mal Untersuchungsgefangene in der ersten Zeit ihrer Haft, wenn sie sozusagen von der Straße weg gefangen und eingeliefert werden, nichts mehr regeln können. Sie stehen vor einem Sack von Problemen und können selber nichts mehr machen. Sie können nicht telefonieren, sie können zwar schreiben, aber das geht alles über den Haftrichter und es ist ausgesprochen schwer, damit zurechtzukommen, wenn man in einem Haftraum für sich alleine sitzt und erst mal nichts mehr passiert.
Brink: Was sind die …
Bennefeld-Kersten: Das ist … Ja?
Brink: Ja, Pardon, bitte!
Bennefeld-Kersten: Ich wollte sagen, das ist aber eine Situation, die ich bei dem al-Bakr ein bisschen anders sehe. Nun muss man vorweg sagen, es ist spekulativ, immer hinterher sich Gedanken zu machen, ja, warum hat er denn das getan, wenn man ihn nicht mehr befragen kann. Aber ich glaube, ich habe gestern die Nachrichten gestern Abend auch gut verfolgt, und ich möchte einfach mal ganz was anderes dazu sagen, zu der Selbstmordgefahr: Ich glaube, dass der al-Bakr in dem Sinne nicht selbstmordgefährdet war, wie wir es von den Gefangenen kennen.
Terroristen haben ein ganz bestimmtes Ziel, sie wollen Schrecken und Angst verbreiten und sie sind dafür bereit, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Sie töten sich nicht, weil sie mit dem Leben nicht mehr zurechtkommen, weil sie traurig, einsam, isoliert, bar jeder sozialen Unterstützung sind, sondern sie töten sich, weil sie was anrichten wollen. Und ich denke, in diesem Fall hat es Herr al-Bakr auch geschafft, sich erneut den Ermittlern durch Flucht zu entziehen.

Neue Methoden für diese Fälle nötig

Brink: Also geben Sie dann recht, dass dies nicht im Vorfeld zu erkennen war? Das sagen ja auch die Verantwortlichen in Sachsen, also, dass sie keine Erkenntnis darüber hatten, dass er gefährdet gewesen sei.
Bennefeld-Kersten: Ich gebe ihnen insofern recht, das kann ich einfach so sagen. Weil, es ist eine andere Qualität der Suizidalität oder der Selbsttötung, die da auf uns zukommt. Und ich glaube, das ist ein Thema, mit dem wir uns unbedingt intensiver beschäftigen müssen. Ich musste immer an die Sendung "Visite" denken, "Abenteuer Diagnose". Wir haben solche Fälle noch nicht oder nur einige gehabt und wir müssen uns darauf einstellen, dass diese Menschen eben auch in Haft ihr Ziel weiterverfolgen, sich zu entziehen, möglicherweise mit großer Außenwirkung. Und sie sind eben nicht suizidal in dem Sinne, wie wir es von, sage ich mal, jetzt unseren Gefangenen kennen.
Brink: Also, das sagen … Wir müssen ganz neue oder zumindest der Justizvollzug muss dann ganz neue, ja, Methoden entwickeln?
Bennefeld-Kersten: Ja, ganz genau, ja.
Brink: Wie sehen Sie das, haben Sie da eine Idee oder haben Sie eine Vorstellung, wie man sich dem nähern kann?
Bennefeld-Kersten: Also, ich halte weniger von einem Untersuchungsausschuss, aber von einer Gruppe, die sich unter Beteiligung von Menschen, die sich gerade mit dieser Menschengruppe besser auskennen als wir noch im Vollzug, zusammensetzen und versuchen, da ein Konzept zu entwickeln.
Brink: Was ist …
Bennefeld-Kersten: Und da ist viel, viel Fortbildung auch gefragt.

Neue Herausforderung für alle Bundesländer

Brink: Also würden Sie schon sagen, die Beamten dort waren mit der Situation überfordert?
Bennefeld-Kersten: Überfordert in dem Sinne, als sie auf so was nicht vorbereitet waren. Aber ich finde, das kann man ihnen nicht vorwerfen. Wir sind nicht auf alle Situationen vorbereitet, ja? Und das muss ich auch mal sagen, Sachsen, gerade Sachsen ist in den Konzepten zur Suizidprävention vorbildlich gewesen. Und deswegen ist es umso bitterer, wenn ausgerechnet sie jetzt mit einem solchen Fall derartig in die Presse geraten. Aber gut, das ist Pech, das kann man nicht ändern. Aber ich will damit sagen: Sie sind nicht nachlässig in Sachen na ja, es wird sich schon alles so regeln mit unseren Suizidgefährdeten, dann bringt sich halt einer um. Nein, Sachsen hat viel investiert, um Suizidprävention einzurichten.
Brink: Was schlagen Sie denn jetzt konkret vor, wie man diesem Phänomen begegnen kann? Was wäre der erste Schritt, der jetzt also als Konsequenz daraus folgen müsste?
Bennefeld-Kersten: Ja, ich denke, das ist jetzt nicht nur Sachsen, sondern das betrifft alle Bundesländer, die in Gefahr geraten, mit einem solchen Problem konfrontiert zu werden. Und sie müssen sich damit befassen, sie müssen sich mit den Hintergründen von Menschen befassen, die nicht suizidal sind, aber die eine hohe Bereitschaft und ein hohes Risiko haben, ihr Leben einzusetzen für ihre Motive.
Brink: Vielen Dank! Die Psychologin Katharina Bennefeld-Kersten leitet die Bundesarbeitsgruppe Suizidprävention im Justizvollzug, dass man noch mal ganz neu denken muss nach dem Vorfall in Sachsen. Vielen Dank, Frau Bennefeld-Kersten!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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