Der Fall al-Bakr

Hat die sächsische Justiz versagt?

Der Anstaltsleiter der Justizvollzugsanstalt Leipzig, Rolf Jacob (l), und Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow, bei einer Pressekonferenz zum Tod des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr.
Der Anstaltsleiter der Justizvollzugsanstalt Leipzig, Rolf Jacob (l), und Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow, bei einer Pressekonferenz zum Tod des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr. © dpa-Bildfunk / Arno Burgi
Von Bastian Brandau · 14.10.2016
Nach dem Tod des syrischen Terrorverdächtigen wehrt sich die sächsische Landesregierung gegen Kritik - und die kommt aus allen Richtungen. Eine der gestellten Fragen: Hätte der Vorfall auch in anderen Bundesländern passieren können - oder ist es ein sächsisches Justizversagen?
Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow, CDU, übernahm die politische Verantwortung für das Handeln der Mitarbeiter in der Justizvollzugsanstalt Leipzig. Dort hatte sich gestern Abend der Terrorverdächtige Syrer Dschaber al-Bakr das Leben genommen. Trotz der Überwachung durch die Justizbeamten:
"Das hätte nicht passieren dürfen, es ist aber leider geschehen, obwohl wir nach dem jetzigen Stand alles Mögliche getan haben, um das zu verhindern. Leider haben sich die Prognosen der beteiligten Fachleute nicht bestätigt, sodass es zu diesem Ereignis gekommen ist."
Der Ermittlungsrichter, dem Dschaber al-Bakr am Montag vorgeführt worden war, hatte ihn als suizidgefährdet eingestuft. Unter anderem, weil er die Nahrungsaufnahme verweigerte und auch nichts trinken wollte, sagte der Leiter der Justizvollzugsanstalt Leipzig, Rolf Jacob.

Alle 30 Minuten kontrolliert

Nachdem al-Bakr am Montag in der JVA angekommen war, habe man ihn deshalb alle 15 Minuten überwacht. Am Dienstag habe al-Bakr ein Gespräch mit einer Psychologin der JVA geführt. Sie habe ihn als ruhig und zurückhaltend eingeschätzt und durchaus daran interessiert, wie es im Haftalltag weitergehe.
"Es ist dann von der Psychologin nach diesem sehr ausführlichen Gespräch eingeschätzt worden, dass eine akute Suizidgefahr nicht besteht und sie dem Abteilungsteam vorgeschlagen hat, doch die Kontrollfristen von 15 auf 30 Minuten zu erhöhen."
Dem habe das Team zugestimmt. Dass al-Bakr am Dienstag die Deckenlampe in seiner Zelle herabriss und Steckdosen manipulierte, habe ebendieses Team als Vandalismus gedeutet. So blieb es bei den Kontrollen alle 30 Minuten, bis gestern Abend gegen 19.45 Uhr eine Mitarbeiterin der JVA al-Bakr nach seinem Selbstmord in der Zelle fand.

An die Vorschriften gehalten

In der Summe habe man sich an die Vorschriften gehalten, so das Fazit der Pressekonferenz, auch wenn man sich im Nachhinein fragen müsse, ob man nicht doch ein wenig zu gutgläubig gewesen sei. Während Ministerpräsident Stanislaw Tillich, CDU, seinem Justizminister den Rücken stärkte, kam Kritik von dessen Stellvertreter, Wirtschaftsminister Martin Dulig von der SPD.
Es sei offensichtlich zu einer Reihe von Fehleinschätzungen sowohl über die Bedeutung als auch den Zustand des Gefangenen gekommen, sagte Dulig. Seine mutmaßliche Absicht, einen Selbstmordanschlag durchzuführen, allein kläre die Frage nach einer möglichen Suizidgefahr. Ähnlich sieht es Oppositionsführer Rico Gebhardt, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei:
"Wenn ich höre, dass der Terrorverdächtige ein Selbstmordattentäter ist, dann gehe ich doch davon aus, dass er selbstmordgefährdet ist. Weil er wollte sich selbst das Leben nehmen. Mir dann irgendwelche Gutachten einzuholen, den dann irgendwie begutachten zu lassen, zu erklären, man könnte ihn alle 15, alle 30 Minuten kontrollieren, das ist doch völlig absurd. Ich erwarte dann doch, dass der rund um die Uhr überwacht wird."

Offensichtliche Selbstmordabsichten?

Auch Katja Maier, rechtspolitische Sprecherin der Grünen, nannte die Selbstmordabsicht al-Bakrs offensichtlich. Dass die Bediensteten der Justizvollzugsanstalt trotzdem nicht in der Lage gewesen seien, den Gefangenen rund um die Uhr zu bewachen, sei ein Skandal.
Auch die AfD-Fraktion forderte eine Aufklärung des Todes von al-Bakr. Man lehne es allerdings ab, dass Justiz und Polizei in dieser Sache des Versagens bezichtigt werden, bevor nicht alle Fakten auf den Tisch gekommen seien, hieß es in einer Pressemitteilung.
Dass es je so weit komme, bezweifelt Linkspolitiker Gebhardt. Er fordert eine externe Untersuchung der Vorfälle der vergangenen Wochen, die sich so seiner Meinung nach in keinem anderen Bundesland hätten abspielen können.
"Da muss ich ehrlich sein, ich kann mir das so in keinem anderen Bundesland vorstellen. Auch nicht mit dem Rumgeeier der verantwortlichen Politiker der CDU, wie ich sie hier derzeit in Sachsen erlebe."
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