Vorfahrt fürs Fahrrad
Zahlreiche Fahrrad- und Fußgängerbrücken führen über die vielen Wasserwege in Kopenhagen. © Getty Images / Julia Davila-Lampe
Was Deutschland von Kopenhagen lernen kann
07:12 Minuten
Kopenhagen ist ein Fahrradparadies. Das Radwegenetz wurde bereits seit den 70ern ausgebaut. Heute holen sich Stadtplaner weltweit hier Rat. Dabei geht es neben einer guten Infrastruktur auch um den sozioökonomischen Nutzen des Radverkehrs.
Fahrradfahren in Kopenhagen klingt ziemlich ruhig. Es wird nicht viel geklingelt, gerufen oder gehupt. Nicht einmal hier, auf der Dronning Louises Brücke, über die der meist befahrene Radweg der Stadt führt. Mehr als 40.000 Räder fahren hier jeden Tag entlang.
Vielleicht sind die Radfahrer so entspannt, weil sie so viel Platz haben. Die Wege auf beiden Seiten der Brücke sind je vier Meter breit. Da können locker drei Radfahrer nebeneinander fahren. Die Autos haben nur eine Spur in jede Richtung.
Fahrradfahren: schnell und effektiv
Noah Busk radelt jeden Tag hier entlang, auf dem Weg zur Arbeit. „Ich finde, Kopenhagen ist eine tolle Stadt zum Fahrradfahren. Es geht schnell, es ist effektiv. Ich muss nicht auf öffentliche Transportmittel warten und ich muss keinen Parkplatz suchen.“
Das Fahrrad ist laut Umfragen für fast jeden zweiten Kopenhagener das bevorzugte Transportmittel. Vor allem, weil Radfahren einfach ist und weil man schnell vorankommt. Auf allen Hauptverkehrsstraßen in Kopenhagen gibt es Radwege. Von den Vorstädten aus führen Radschnellwege in die Innenstadt, auf denen die Radfahrer nur selten an roten Ampeln halten müssen.
Wie Dänemarks Hauptstadt zum Fahrradparadies wurde, kann Erik Hjulmand erklären. Der Vorsitzende des Kopenhagener Radfahrerverbundes sagt von sich selbst, er sei mit einem Fahrrad zwischen den Beinen geboren worden.
„Fahrradfahren ist seit 100 Jahren Teil der dänischen Kultur. Wenn man Fotos aus Kopenhagen in den 1920ern sieht, ähnelt das dem Straßenbild von heute: überall Radfahrer. Der Hauptgrund dafür ist wahrscheinlich, dass Kopenhagen sehr flach ist, darum ist Fahrradfahren nicht anstrengend.“
Zwar mussten die Räder ab den 50ern mit den vielen neuen Autos auf den Straßen konkurrieren, die sich immer mehr Dänen leisten konnten. Aber schon in den 70ern demonstrierten die Kopenhagener dafür, die Straßen nicht den Autos zu überlassen. Die Politik reagierte: Ein Netz von Radwegen entstand und wurde kontinuierlich ausgebaut.
Kopenhagen als weltbeste Fahrradstadt
Als Kopenhagen im Jahr 2009 Gastgeberin der UN-Klimakonferenz wurde, setzte der Stadtrat sich ein ehrgeiziges Ziel: Kopenhagen sollte die beste Fahrradstadt der Welt werden.
Die Stadtplanerin Marie Kåstrup arbeitete damals für das kommunale Fahrradprogramm. „Das Fahrrad wurde in den Fokus der Politik gerückt. Und die Stadt hat angefangen, ernsthaft in das Radwegenetz zu investieren. Man hat begonnen, viel Geld für eine gute Infrastruktur auszugeben.“
Diese Infrastruktur wurde nicht nur gut, sondern auch stilvoll. Fahrradfahren ist in Kopenhagen auch ein ästhetisches Erlebnis.
Da ist zum Beispiel Cykelslangen, eine Brücke nur für Fahrräder, die sich mit ihrem knall-orangen Belag zwischen hohen Gebäuden hindurch schlängelt. Oder die Cirkel-Brücke an der Hafenpromenade, die aus mehreren kreisrunden Plattformen besteht - entworfen vom dänisch-isländischen Künstler Olafur Eliasson.
Sozioökonomischer Nutzen
Die Ästhetik ist aber kein Selbstzweck: Die Dänen sind nicht nur bekannt für ihr Design, sondern auch dafür, wirtschaftlich zu denken. Und die Ausgaben für die schicken Brücken lohnen sich, sagt Marie Kåstrup.
„Im dänischen Transportministerium hat man begonnen, den sozioökonomischen Nutzen des Fahrradfahrens auszurechnen. Und der ist markant. Jeder Kilometer, der im Auto gefahren wird, kostet die Gesellschaft Geld. Aber mit jedem geradelten Kilometer verdient die Staatskasse Geld.“
Die dänische Staatskasse, vor allem das Gesundheitswesen, spart knapp einen Euro pro geradeltem Kilometer.
Touristen und Zugezogene überfordert
Doch auch im Fahrradparadies gibt es Schattenseiten, vor allem für Neulinge. Die schiere Masse an Radfahrern und deren Geschwindigkeit – beides kann für Zugezogene ziemlich überwältigend sein, sagt die Stadtplanerin.
„Wir haben hier ein sehr effektives System. Radfahren muss für uns schnell gehen, wir wollen ja rechtzeitig zur Arbeit kommen. Da können wir nicht zu viele arme Touristen gebrauchen, die langsam fahren und unsere Regeln gar nicht kennen.“
Eine der wichtigsten Regeln, die Touristen und Zugezogene lernen müssen: Man sollte die Hand heben, bevor man anhält. Andernfalls wird man leicht überrollt oder zumindest angemeckert. Viel-Radler Noah Busk kennt zwar die Spielregeln, aber auch ihn stört der Andrang auf den Radwegen.
„Die Straße, die zur Brücke hinführt, mag ich nicht so gerne, weil so viele Leute morgens gleichzeitig in die Innenstadt müssen. Manchmal habe ich das Gefühl, ich stehe die ganze Zeit im Stau.“
Großer Andrang auf den Radwegen
Mit diesem Gefühl ist Noah Busk nicht alleine. Laut einer Umfrage finden knapp die Hälfte aller Kopenhagener Radfahrer, dass es in Stoßzeiten zu voll ist auf den Radwegen. Für Erik Hjulmand vom Radfahrerverband gibt es dafür nur eine Lösung. „Die meist befahrenen Radwege müssen noch breiter werden. Unsere gute Infrastruktur hat so viele Radfahrer angelockt, dass es einfach nicht mehr genug Platz für alle gibt.“
Der Bau neuer und der Ausbau bestehender Radwege ist schon in den Kopenhagener Stadthaushalt eingeplant. Gut 11 Millionen Euro will Kopenhagen allein in diesem Jahr dafür ausgeben. Die Summe ist für Marie Kåstrup gut investiert. Sie versteht nicht, warum andere Städte nicht mehr in ihre Radinfrastruktur investieren.
„Wir können Menschen zum Mond befördern, wir können komplexe Autobahnprojekte und U-Bahnen bauen - dagegen sind Radwege wirklich simpel. Und verglichen mit Investitionen in andere Transportformen extrem billig. Wenn man alle Ausgaben der letzten 15 Jahre für die Kopenhagener Radinfrastruktur zusammenzählt, kommt man auf die Summe, die die Erweiterung eines winzigen Autobahnabschnittes gekostet hat.“
Es ist wenig überraschend, dass Kopenhagener Stadtplaner auf der ganzen Welt Städte beraten, die ihre Radinfrastruktur verbessern wollen. Zurzeit holt sich unter anderem Berlin Hilfe. Die Hauptstadt hat sich das Ziel gesetzt, den Radverkehr bis Ende des Jahrzehnts deutlich zu stärken – ein Viertel aller Wege sollen dann mit dem Rad zurückgelegt werden. Aber der Ausbau der neuen Strecken läuft schleppend. Die Kopenhagener Stadtplaner haben also noch eine Menge zu erklären.