Künast siegt gegen Facebook

Weniger Hass, weniger Freiheit?

18:15 Minuten
Renate Künast im Bundestag
Zehn Jahre nach der ausschlaggebenden Talkshow hat Renate Künast ihren Prozess gegen Facebook gewonnen. © imago / Christian Spicker
Matthias C. Kettemann im Gespräch mit Jenny Genzmer und Marcus Richter · 16.04.2022
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Lange haben soziale Netzwerke Beleidigungen als Bagatelle betrachtet. Nach einem Prozess, den Renate Künast vor dem Landgericht Frankfurt gewonnen hat, könnte sich das nun ändern. Doch das Urteil könnte auch die freie Meinungsäußerung gefährden.
Alles begann in der Talkshow “Beckmann” – vor zehn Jahren. In der Gesprächsrunde: der jetzige Kanzler Olaf Scholz, Renate Künast und andere. Diskutiert wurde über das Buch „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin. Der verwechselte den Namen der ebenfalls anwesenden ersten türkischstämmigen Ministerin Deutschlands, Aygül Özkan aus Niedersachsen.
“Integration fängt damit an, dass Sie sich als Deutscher ihren Namen mal merken”, ruft Renate Künast herein – und der Schlamassel beginnt: Auf einer Fotokachel mit ihrem Abbild wird der Spruch stark verfälscht auf Facebook geteilt. Darauf steht: “Integration fängt damit an, dass sie als Deutscher mal Türkisch lernen.”
Künast verlangte dann von Facebook nicht nur die Löschung des Originalbeitrags, sondern auch die Löschung von Beiträgen, die im Kern inhaltsgleich sind und bekam nun vor dem Landgericht Frankfurt Recht. Für die Social-Media-Plattform könnte das zum Problem werden, erklärt Matthias C. Kettemann, Professor für Innovation, Theorie und Philosophie des Rechts an der Universität Innsbruck.

Lieber zu viel, als zu wenig blocken

Denn es sei nicht möglich, die tausenden Bilder und Inhalte, die jede Sekunde hochgeladen werden, durch Menschen überprüfen zu lassen. Das bedeute, dass die Algorithmen mit einer gewissen Unschärfe programmiert werden müssten, um auch Abwandlungen derselben Aussage zu erkennen. Dies sei eine große Herausforderung mit viel Konfliktpotenzial. Kettemann geht davon aus, dass mehr Inhalte als nötig gelöscht werden, weil die Plattformen es sich leicht machen würden und alles, was ähnlich aussieht, prophylaktisch entfernen, um auf der sicheren Seite zu sein.
Schon jetzt sei dieses sogenannte “Overblocking” die Realität. Die Alternative sei jedoch auch nicht besser, denn diese wäre ein massives “Underblocking”, bei dem viele rechtswidrige Inhalte online bleiben würden.
Deshalb sei es für die Gesellschaft vermutlich besser, wenn mehr gelöscht würde: “Wir sehen das ja bei Plattformen wie Telegram: Massive, rechtswidrige Inhalte schaden individuellen Rechten und die schaden auch dem gesellschaftlichen Zusammenhalt.”

Urteile können harte Grenzen aufzeigen

Der jetzt gewonnene Prozess gilt jedoch nur für Deutschland. Zudem gibt es hier, anders als beispielsweise in den USA, keine bindenden Präzedenzfälle, die auch für andere Verfahren gelten. Das heißt: Jede neue Klage in vergleichbaren Fällen könnte zu anderen Ergebnissen führen. Deshalb sei das Urteil vom Landgericht Frankfurt nur ein Hinweis für andere deutsche Gerichte, so Kettemann.
Deshalb sei viel wichtiger zu sehen: Was macht Facebook von sich aus. Und dafür seien auch Urteile in Ländern wie Deutschland durchaus nicht schlecht, um globale Richtlinien zu beeinflussen. So sei auf der Plattform beispielsweise Holocaustleugnung bis zum letzten Sommer – außerhalb Deutschlands – völlig legal gewesen. Erst dann habe Mark Zuckerberg beschlossen, dass er diese Inhalte auch weltweit nicht mehr dulden würde. Deshalb sei es gut, wenn Urteile wie im Fall Künast harte Grenzen aufzeigen würden.
Kettemann sieht in einer Orientierung am deutschen Rechtssystem allgemein eine gute Lösung. Dieses habe in den letzten Jahrzehnten eine Judikatur entwickelt, die einerseits die freie Meinungsäußerung wahrt, andererseits aber auch Persönlichkeitsrechte schützt – die Grenze sei da, wo die Rechte anderer beginnen.
Die Plattformen müssten in den Augen des Medienwissenschaftlers ein bisschen mehr investieren, um diese Rechtslage umzusetzen und dafür sorgen, dass algorithmische Empfehlungen nicht dazu führen, dass Beleidigungen, die eigentlich gelöscht werden müssten, noch viel stärker verbreitet werden.

Ein Signal an soziale Netzwerke

Hier sieht Kettemann aktuell ein systemisches Problem bei den sozialen Netzwerken. Das würde sich auch daran zeigen, wie lange es bis zu dem Urteil im Fall Künast gedauert hätte. Die Plattformen würden sich sehr widerspenstig zeigen, wenn es darum geht, Beleidigungen und sexistische Sprache zu löschen. Es sei kein Zufall, dass es eine berühmte Politikerin gebraucht habe, um die Situation vor ein Gericht zu bringen.
Ein ähnlicher Fall war 2019 von der österreichischen Grünen-Politikerin Eva Glawischnig 2019 vor dem Europäischen Gerichtshof gewonnen worden. Es sei bekannt, dass Frauen, gerade in der Politik, viel stärker mit Hassrede, Beleidigungen und sexualisierter Sprache und Gewalt konfrontiert seien als andere Personengruppen.
Deswegen sieht Kettemann die gewonnenen Prozesse als symbolische Urteile. Er hofft, dass die sozialen Netzwerke dies zum Anlass nehmen, stärker darüber nachzudenken, wie sie ihre Nutzerinnen und Nutzer schützen können.
(hte)

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