Facebook heißt jetzt Meta

Der Preis des guten Gewissens

Simon Hurtz und Adrian Daub im Gespräch mit Katja Bigalke und Martin Böttcher · 30.10.2021
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Meta, ehemals Facebook, steckt in einer tiefen Krise, wie ein Datenleak zeigt. Doch um die Geschäftsmodelle der großen Techunternehmen nachhaltig zu ändern, müssten Bürgerinnen und Bürger selbst zurückstecken. Denn es geht um viel Geld für alle.
Tausende Bilder von abfotografierten Monitoren. Was hier erstmal so unspektakulär klingt, sind die sogenannten "Facebook Papers". Die ehemalige Facebook-Angestellte Francis Haugen hat Inhalte aus der Firmeneigenen Kommunikationsplattform abfotografiert, die einen ausführlichen Blick in das Innerste des Konzerns von Mark Zuckerberg geben.
Verschiedene Medien aus der ganzen Welt haben Zugriff auf diesen Datenleak, darunter auch die "Süddeutsche Zeitung". Für diese wühlt sich der Journalist Simon Hurtz durch die Bilder, um einen Einblick in das Unternehmen zu bekommen, das jetzt Meta heißt.
Er berichtet seit zehn Jahren über den Konzern und sagt, dass die "Facebook Papers" seinen Blick auf das Unternehmen mit den Plattformen Facebook, Instagram, WhatsApp noch einmal geändert hat:

"Ich glaube, dass die Dokumente einen guten Einblick ermöglichen, wie hart dort intern gerungen wird und wie viele hunderte oder sogar tausende Menschen dort auch wirklich gutes im Sinn haben und das Beste für Nutzerinnen und Nutzer wollen. Das finde ich faszinierend zu sehen, dass Facebook, glaube ich, komplexer ist, als das von außen oft den Anschein hat."
Für Hurtz zeigen die Diskussionen, dass die oft geäußerte Kritik, Meta stelle Profit vor das Wohl der Nutzerschaft, nicht ganz zutreffe. Gleichzeitig seien aber viele Namen in den Dokumenten, die der Presse zur Verfügung stehen, geschwärzt. Nur bekannte Managerinnen und Manager sind als solche zu identifizieren. Das mache es oft schwer zuzuordnen, ob Kritik auch von Leuten mit tatsächlicher Macht geäußert werde.

Facebook auch Opfer überzogener Berichterstattung

Was diese Leaks laut Hurtz aber auch zeigen: Facebook habe sehr große Angst vor der Konkurrenz. Bereits 2018 habe es interne Warnungen gegeben, dass TikTok eine existenzielle Bedrohung sei, weil Teenager zu der neuen Plattform abwanderten – das war lange, bevor die Kurzvideo-App in der breiten Masse als Phänomen erfolgreich wurde.
Dazu passend zeigten die Dokumente auch, dass Mark Zuckerbergs Firma bereits seit 2019 Probleme bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter habe. Früher galt es noch als prestigeträchtig bei Facebook zu arbeiten. Doch würde gerade der eher linksliberale Nachwuchs im Silicon Valley das Unternehmen heute eher kritisch betrachten, so die Vermutung von Hurtz.
Bei aller Kritik an Meta: Hurtz hält auch einige Berichte, die durch die "Facebook Papers" entstanden sind, für zu aufgeblasen und durch die Dokumente nicht gestützt. Eine der größten Geschichten der letzten Wochen waren interne Studien von Instagram, die darauf hindeuteten die Plattform würde Minderjährige depressiv und krank machen. Obwohl das Unternehmen dies gewusst haben soll, wurde nicht gehandelt.
"Das ist eines der Beispiele, bei denen ich sehr skeptisch bin, ob es wirklich so einfach ist, wie es gerade erzählt wird", erklärt Simon Hurtz. "Das sind Korrelations- und keine Kausalitäts-Studien. Und einige der Schlüsse, die öffentlich immer wieder wiederholt werden, wo es um die Selbstmord-Absichten von Teenagern geht, beziehen sich auf ganz, ganz geringe Stichprobengrößen. Jeder Mensch, der sich besser mit Statistik auskennt als ich, sagt: Das sind keine validen Schlüsse, die da gerade daraus gezogen werden."

Hat Zuckerberg unter Eid gelogen?

Interessanter sei da schon viel eher ein Programm namens "Crosscheck", das ca. sechs Millionen vorwiegend prominenter Menschen Sonderregeln ihrer Accounts zugesteht. Die Existenz einer solchen Funktion habe Mark Zuckerberg allerdings mehrfach geleugnet, mindestens einmal sogar unter Eid, so Hurtz. Hier hält er es sogar für angebracht, das noch einmal juristisch überprüfen zu lassen, ob es sich dabei um eine strafbare Falschaussage handele.
Ganz unabhängig von den "Facebook Papers" hat das Unternehmen sich in dieser Woche in Meta umbenannt. Nach eigenen Angaben, um den Weg in die Zukunft zu ebnen, der für das Unternehmen das sogenannte Metaverse ist – eine virtuelle 3D-Umgebung. Gleichzeitig lässt sich das auch als Zeichen deuten, dass zumindest die Plattform Facebook an Relevanz eingebüßt hat. Etwas, das selbst Mark Zuckerberg ziemlich offen zugebe. Doch aus diesem Straucheln sollte man nicht zu viel schlussfolgern, findet Hurtz:
"Facebook, die blaue App, ist immer noch die mit Abstand größte Kommunikationsplattform der Welt. Zusammengenommen nutzen mehr als dreieinhalb Milliarden Menschen irgendeinen Dienst von Facebook. Einem Unternehmen, das eine derart marktbeherrschende Stellung hat, zu sagen, es hat keine Zukunft mehr, weil es sich gerade schwer tut, Menschen anzuwerben, das kommt mir jetzt ein bisschen zu früh. Facebook wurde einmal zu oft totgesagt, als dass ich mich jetzt hinstelle und sage: Facebook hat keine Zukunft mehr."

Erstmal kaputtmachen

Aus dem Silicon Valley selbst kommen auch Gedanken über die Zukunft der großen Tech-Unternehmen. Und zwar von Adrian Daub. Er ist Professor für vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Stanford. In seinem Buch "Was das Valley denken nennt" beschäftigt er sich damit, welche Philosophien die großen Tech-Konzerne und vor allem die Menschen dahinter antreiben.
Allen voran ist das für ihn die Priorisierung der Disruption. Die Vorstellung, dass alles alteingesessen illegitim sei, korrigiert werden und den Prinzipien des Silicon Valley angepasst werden müsse. Dabei iterieren die Unternehmen schneller, als es die gesetzliche Basis tut, die oft Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte alt ist. Wozu das führt, erklärt Daub so:
"Es ist häufig so, dass diese Unternehmen sich einerseits als Rebellen und Außenseiter darstellen, aber andererseits natürlich eigentlich nur Geld verdienen können, wenn sie die marktbeherrschenden Monopolisten sind. Und diesen Widerspruch, den hat man einfach vom Tisch gewischt. Die Tatsache, dass ein Unternehmen, das einen Markt komplett dominiert, vom Gesetzgeber kontrolliert werden muss, haben diese Unternehmen, entweder nicht bedacht oder nie öffentlich gemacht."
Dabei glaubt Daub nicht einmal, dass es die Gründerinnen und Gründer wie Mark Zuckerberg selbst waren, die auf eine Monopolstellung und ein Operieren in rechtlichen Grauzonen gedrängt haben, doch täten dies die Geldgeber im Hintergrund sehr wohl. Denn im Silicon Valley gehe es immer darum, wie groß eine Firma einmal werden kann. Und die massiven Bewertungen, die der Markt diesen Unternehmen gibt, zeigten, dass Investoren von einer fast monopolistischen Marktdominanz ausgingen.

Dagobertwürdige Geldsäcke

Das stünde aber oft im Gegensatz zu den eigentlich Idealen, die die Tech-Firmen ausgeben, sagt Daub: "In meinem Buch argumentiere ich so, dass es bei diesen Idealen auch darum geht, kognitive Dissonanz abzubauen. Die Leute, die in diesen Unternehmen arbeiten, sind alle hochintelligent, gut ausgebildet und häufig politisch eher links. Sie halten sich für gute Menschen und wollen auch nicht das Gefühl haben, dass sie die Welt schlechter machen."
Mitte der 2010er habe man sich auch noch einreden können, dass man gutes leiste. Doch Mottos wie Googles berühmtes "don’t be evil" funktionierten heute immer weniger. Spätestens seit der Wahl Donald Trumps sei vielen klar geworden, dass man wahrscheinlich auf der falschen Seite steht und dass die Sachen, die kaputt gemacht – eben disruptiert – wurden, aus gutem Grund existierten, so Daub.
In seinem Buch zitiert der Autor Mark Zuckerberg mit dem Satz: "Wir kamen einfach zur Arbeit und machten das, was uns der richtige nächste Schritt zu sein schien." Eine Ingenieurs-Denkweise, die im Silicon Valley sehr verbreitet sei. Doch Daub ist überzeugt, dass den Managern der großen Tech-Unternehmen die Auswirkungen ihres Handelns bewusst waren. Denn ihre Versprechen handelten von großen Visionen und nicht nur kleinen Schritten. Doch man könne nicht auf der einen Seite aufs Ganze gehen, aber dann zu den Befürchtungen sagen, dass man sie nicht bedacht habe:
"Sie sind für die Außenwirkung einerseits absolut hellhörig und andererseits absolut blind. Das halte ich für unwahrscheinlich. Ich denke halt, das könnte auf etwas ganz menschliches hinauslaufen: Wenn einem Menschen mit dagobertwürdigen Geldsäcken hinterherlaufen, schaut man möglicherweise nicht so genau hin."

Wir alle müssten zurückstecken

Diese Geldsäcke spiegeln auch die Philosophie des Scheiterns, die im Silicon Valley herrscht, sehr gut wieder. Denn Scheitern gelte dort eher als Möglichkeit zu lernen und muss nichts finales sein. Für Adrian Daub ist diese Haltung einerseits etwas schönes, weil sie die Möglichkeit zu Wachstum und zum Lernen bietet. Doch sie werde Skandalen, wie sie Facebook in der Vergangenheit hatte, nicht gerecht. Dafür bräuchte es eine neue, viel härtere Idee des Scheiterns.
Denn finanziell werden diese dem Unternehmen, das jetzt Meta heißt, vermutlich nicht schaden, prognostiziert der Stanford-Professor. Und Erfolg werde im Valley nur mit Geld gemessen. Eine Revolution dieses Systems müsse von unten kommen. Angestellte müssten sagen "Ich habe zwar viel Geld dabei verdient, aber das, was ich dachte, was ich mache – nämlich die Welt verbessern – habe ich nicht hinbekommen."
Doch Daub sieht ein großes Problem: "Ich denke, das Geld immer korrumpieren kann und die schiere Masse an Geld, die ins Silicon Valley schwappt, ist einfach so eklatant und historisch ohne Präzedenzfall. Ich verstehe schon, dass man da von diesen Leuten viel verlangt."
Und nicht nur die Angestellten verdienen an den Monopolstellungen. Gerade in den USA investierten auch viele Rentenfonds in die Tech-Unternehmen. Für viele Bürgerinnen und Bürger haben sich die Aktien der Konzerne als gute Altersvorsorge herausgestellt. Für Daub gibt es deshalb nur eine logische Konsequenz, um wirklich etwas zu ändern:
"Wir müssen uns alle eine ziemlich brutale Frage stellen: Bin ich bereit, wenn meine Rendite auf meine Investitionen plötzlich sehr viel kleiner ist, weil das Unternehmen, beschlossen hat, endlich ein Gewissen zu entwickeln?"
(hte)
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