Facebook in der Kritik

Das Unternehmen ist längst “too big to fail”

12:38 Minuten
Ein Sticker mit dem Facebook Logo und dem Gesicht Mark Zuckerbergs, darunter „You've been zucked”.
Geht es nicht mehr ohne Facebook? © Unsplash / Annie Spratt
Stephan Bohn im Gespräch mit Vera Linß und Tim Wiese · 09.10.2021
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Es ist keine leichte Woche für Facebook. Ihre Dienste fallen mehrfach aus, eine Whistleblowerin erhebt schwere Vorwürfe und zahlreiche Politiker*innen fordern Regulierungen für das US-Unternehmen. Ist es Zeit für eine Kehrtwende? Organisationswissenschaftler Stephan Bohn hat Ideen für den Wandel.
14 Millionen Nutzer*innen sollen sich Anfang dieser Woche beschwert haben, andere haben den sechs Stunden andauernden Ausfall der Facebook-Dienste zunächst nicht einmal bemerkt. Diese Amibalenz entsteht dadurch, dass Facebook, Instagram, WhatsApp und co. längst nicht mehr nur Freizeitbeschäftigung sind, sondern in bestimmten Kontexten sogar systemrelevant. In Ländern wie Malaysia findet zum Beispiel die Business-Kommunikation kleiner Unternehmen fast ausschließlich über WhatsApp statt.
Deswegen dürften solche Ausfälle auch vor allem Unternehmen besonders hart treffen. Experten gehen davon aus, dass alleine in diesen sechs Stunden Unternehmen Verluste in einem zweistelligen Millionenbereich hinnehmen mussten. (Über die Anfälligkeit und die steigende Relevanz von Facebook berichtet Matthias Finger.)

Die Frau hinter den Facebook Files

Gerade weil Facebook mittlerweile so eine große, gesellschaftliche und auch systemische Relevanz hat, schlagen die Enthüllungen von Frances Haugen so große Wellen. Die ehemalige Facebook-Mitarbeiterin hat interne Dokumente an das Wall Street Journal weitergegeben. Veröffentlicht hat das Medium die Erkenntnisse seit Anfang September unter der Überschrift "Facebook Files". Jetzt hat sich Haugen in einem 60 Minütigen TV-Interview zu erkennen gegeben und danach auch im US-Senat ausgesagt.
Jochen Dreier hat sich den Auftritt von Haugen vor dem Senat genau angesehen: "Was ich erst mal beeindruckend fand, war Haugens Selbstsicherheit mit der sie vor den Ausschuss getreten ist. Sie vermittelt: Hier ist jemand sicher, das Richtige zu tun, aus den richtigen Gründen heraus." Was sie anklagt, ist allerdings nur teilweise überraschend. Die Dokumente belegen vor allem Vorwürfe gegen Facebook, die schon länger bestehen. "Sie hat ihren Hauptvorwurf bekräftigt, Facebook würde Profit über die Sicherheit der Nutzer stellen", erklärt Dreier [ AUDIO ].

Die Belege zu den Vorwürfen

So wurde bereits 2019 darüber berichtet, dass unter anderem auf Facebook Menschen zum Verkauf angeboten werden. Die Enthüllungen sollen nun belegen: Facebook habe darüber Bescheid gewusst und nichts dagegen getan. Ähnlich sieht es bei der schädlichen Wirkung von Instagram aus. Eine interne Studie zeige, dass der Dienst vor allem junge Mädchen depressiv machen könne und einen negativen Effekt auf das eigene Körperbild verursache.
Doch warum ist Frances Haugen überhaupt diesen Schritt gegangen? Und kann sie, obwohl die ehemalige Mitarbeiterin von Facebook Firmengeheimnisse preisgegeben hat, auf Schutz hoffen?

Schutz und Regulierung

Über die Bedeutung von Facebook hat sich auch Stephan Bohn Gedanken gemacht. Der Organisationswissenschaftler am Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft argumentiert, dass Facebook mittlerweile "too big to fail" sei. Das bedeutet, dass die Infrastruktur, auch durch die zusätzlichen Dienste wie Instagram und WhatsApp, so bedeutend für die Gesellschaft geworden ist, dass Facebook schützenswert ist. "Bei Facebook würde ich argumentieren, dass es vielleicht dann Einschränkungen für das Leben gibt, wenn man sich quasi zum Beispiel in Krisensituationen befindet. Und wenn man essenziell darauf angewiesen ist, damit zu kommunizieren, zum Beispiel bei der bei der Covid-Krise", erklärt Bohn.
Allerdings setzt dieser Schutz mehr Regulierungen des Dienstes voraus. Die fordern ja auch gerade viele Politiker*innen. Bohn schlägt vor, dass Facebook nicht größer werden darf, als es bereits ist. Das bedeutet, es müsste Gesetze geben, die sicherstellen, dass Facebook zum Beispiel nicht noch andere Dienste übernimmt. Diese Gesetze müssten in den USA gemacht werden, wo Facebook seinen Firmensitz hat. Einen Versuch, diese Idee umzusetzen, gibt es bereits. Mit Hilfe einer Kartellrechtsklage sollen WhatsApp und Instagram wieder eigenständige Unternehmen werden, denn Facebook wird eine schädliche Monopolstellung auf dem Markt vorgeworfen.

Ändern statt zerschlagen

Facebook wehrt sich dagegen, argumentiert, dass so eine Zersplitterung zu teuer sei und hält an seinen bisherigen Strukturen fest. Zwar sei das aus unternehmerischer Sicht legitim, aber "dann gibt es auch sehr positive Beispiele am Ende für die Besitzer. Den Rockefellers gehörte das Unternehmen ‘Standard Oil’. Das wurde auch damals entflechtet. Und später gab es durch verschiedene Aktien Hin- und Her-Käufe, natürlich auch Vorteile für die Familie," sagt Bohn.
Als Unternehmen ist Facebook sicherlich auf Gewinn angewiesen, allerdings wird oft beklagt, wie sehr das Kapital ihre Prinzipien bestimmt. "Man könnte auch Unternehmen in Stiftungen übertragen und damit unabhängiger vom Kapitalmarkt machen, aber auch unabhängiger von staatlichem Eingriff", denn die Nutzer würden sich ja weiterhin ein unabhängiges soziales Netzwerk wünschen und keines, dass zum Beispiel ein autokratisches Staatsoberhaupt steuert, meint Bohn. Enteignen möchte er Facebook allerdings nicht. Seine Vorschläge würden auch dem Wunsch von Whistleblowerin Fraces Haugen gerecht werden, die Facebook retten und nicht abschaffen möchte.
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