Europawahl

Erfolg der Rechtspopulisten "besorgniserregend"

Porträt von Hans-Gert Pöttering
Hans-Gert Hermann Pöttering (CDU) war von 2007 bis 2009 der 23. Präsident des Europäischen Parlamentes. © picture alliance / ZB / Karlheinz Schindler
Hans-Gert Pöttering im Gespräch mit Nana Brink · 26.05.2014
Der CDU-Politiker Hans-Gert Pöttering sieht den Wahlerfolg der Rechtspopulisten als "eine große Herausforderung" für die EU. Aufgrund des Wahlergebnisses habe der EVP-Kandidat Juncker Anspruch, Kommissionspräsident zu werden. Diese Wahl sei "ein Testfall für die beiden großen Volksparteien".
Nana Brink: Zwei Ergebnisse sind nach der gestrigen Europawahl ja entscheidend: Die Konservativen liegen zwar vorn, aber dicht gefolgt von den Sozialdemokraten – das Gerangel um die Position des Kommissionspräsidenten geht also jetzt richtig los – und das Abschneiden der euro-skeptischen und rechtspopulistischen Parteien bei dieser Wahl. All das wollen wir jetzt einsortieren, und zwar mit Hans-Gert Pöttering. Er ist Vorsitzender der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und war ehemals Präsident des EU-Parlaments. Schönen guten Morgen, Herr Pöttering!
Hans-Gert Pöttering: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Das Abschneiden der Rechtspopulisten, das hat ja Frankreich sehr erschüttert. Dort ist der Front National die stärkste Kraft geworden, auch in Großbritannien. Das kann doch Deutschland nicht egal sein.
Pöttering: Nein, natürlich ist uns das nicht egal, nicht nur Deutschland nicht, sondern der ganzen Europäischen Union nicht. Das ist ein besorgniserregendes Ergebnis. Aber man muss auch berücksichtigen, dass in diesem Wahlergebnis auch Reflexe zum Ausdruck kommen, die gegen die eigene Regierung gerichtet sind. So in Frankreich insbesondere durch den Front National. Die Regierung ist unpopulär.
Aber natürlich ist das auch für die europäische Einigungspolitik eine große Herausforderung, und wir dürfen natürlich nicht vergessen, dass die proeuropäischen Parteien überall, in allen Ländern, doch eine große, große Mehrheit haben. Deswegen, bei aller Kritik oder aller Besorgnis über das Anwachsen der Rechtsradikalen sollen wir nicht aus dem Auge verlieren, dass die proeuropäischen Kräfte überall doch eine große, große Mehrheit darstellen.
Brink: Die Frage ist ja, ob sie sich dann wirklich zusammenfinden. Und damit kommen wir ja zu der spannenden Frage, wer wir nächster Kommissionspräsident? Union und SPD streiten ja schon jetzt, jeder erhebt den Anspruch auf das Amt, sowohl Jean-Claude Juncker wie ja auch Martin Schulz.
Pöttering: Wenn man der Logik der Diskussion der letzten Jahre folgen will und folgen wird, dann hätte zunächst einmal die größte Fraktion den Anspruch darauf, den Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten zu stellen. Und das Verfahren ist ja so, dass der Europäische Rat, also die Regierungen, unter Berücksichtigung des Wahlergebnisses einen Kandidaten vorschlagen.
"Die Europäische Volkspartei liegt vorne"
Und da die EVP, also die Europäische Volkspartei, die Christdemokraten, doch deutlich mehr Stimmen haben im Europäischen Parlament als die Sozialdemokraten beziehungsweise Sozialisten, muss man davon ausgehen, dass der Kandidat der Europäischen Volkspartei, also Jean-Claude Juncker dann auch der Vorschlag sein wird der Staats- und Regierungschefs.
Brink: Die Frage ist ja, ob er ja dann auch - und dann kommen wir auf das Parlament zu sprechen, dass dann diesen Vorschlag dann auch absegnen muss -, die Frage ist, ob er die Mehrheit bekommt und mit wem er sich oder mit wem sich die EVP verbündet; vielleicht ja auch mit den Sozialdemokraten. Ist das nicht auch ein Testfall für die großen Volksparteien, jetzt wirklich auch, unter dem Licht des Erfolgs der Rechtspopulisten, da eine klare Sache hinzubekommen?
Pöttering: Zunächst einmal ist es ein großer Fortschritt, Frau Brink, dass die Staats- und Regierungschefs das Ergebnis der Europawahlen berücksichtigen müssen bei ihrem Vorschlag für den Kommissionspräsidenten. Das war ja früher nicht der Fall. Ich will meine eigenen Erfahrungen jetzt nicht schildern, aber es war früher so, sowohl 1999 wie 2004, dass Kandidaten vorgeschlagen wurden bzw. vorgeschlagen werden sollten, die mit dem Wahlergebnis überhaupt nichts zu tun hatten. Und jetzt ist es wirklich so, 2009 wurde Barroso wiedergewählt, da hat man das Wahlergebnis berücksichtigt, aber eben vorher nicht, 1999 nicht. Und 2004 hat dann das Parlament es durchgesetzt, dass der Wahlsieger dann auch den Kommissionspräsidenten bekam. Aber da stand es noch nicht im Vertrag, jetzt steht es im Vertrag von Lissabon.
Und das ist alles Teil dieser längeren Entwicklung in der Vergangenheit, dass die Staats- und Regierungschefs das Wahlergebnis berücksichtigen müssen bei ihrem Vorschlag. Und dann geht es natürlich darum, dass im Europäischen Parlament der Kandidat eine Mehrheit findet. Und das muss man jetzt abwarten, wie die Fraktionen sich nun in den Verhandlungen, die sie ja jetzt miteinander aufnehmen müssen, am Ende orientieren. Das ist zu dieser Stunde, in der wir sprechen, noch offen.
Brink: Noch mal nachgefragt aber, ist das nicht wirklich ein Testfall für die beiden großen Volksparteien?
Pöttering: Natürlich ist es ein Testfall für die beiden großen Volksparteien, aber man muss auch sehen, es gibt andere Fraktionen im Europäischen Parlament, die ihre Rolle auch wahrnehmen werden, die Liberalen, die Grünen und andere. Und man muss jetzt sehen, wie die Fraktionen, die ja jetzt zunächst einmal zusammenkommen - heute und morgen und in den nächsten Tagen, sie werden sich ja beraten -, und dann wird man wissen, wie die endgültigen Entscheidungen der Fraktionen sind. Aber richtig ist, natürlich haben die großen Fraktionen eine besondere Verantwortung.
Brink: Offenkundig ist ja, dass Angela Merkel schon aus innenpolitischer Räson, und auch, weil ihr Schulz wahrscheinlich als zu eigensinnig gilt, den SPD-Mann verhindern will. Auch, weil sie ja Jean-Claude Juncker nicht wirklich unterstützt hat in der Vergangenheit. Wird sie es jetzt tun?
Pöttering: Also, was meine Wahrnehmung ist, ist, dass Angela Merkel, die Vorsitzende der CDU, Jean-Claude Juncker voll unterstützt hat. Er war der Kandidat für das Amt oder ist der Kandidat der Europäischen Volkpartei für das Amt des Kommissionspräsidenten. Er ist mit großer Mehrheit gewählt worden in Dublin auf einem Kongress der Europäischen Volkspartei, und ich habe nicht den Eindruck, dass er nicht die Unterstützung von Angela Merkel hätte.
Wir müssen ja im Übrigen auch ernst nehmen, was die Parteien selber entschieden haben, und die Europäische Volkspartei, die Sozialdemokraten, die Liberalen, die Grünen haben Spitzenkandidaten gehabt, und das muss jetzt natürlich auch Konsequenzen haben für das Amt des Kommissionspräsidenten. Und die Europäische Volkspartei, zu der die CDU gehört, liegt vorne, und deswegen erwarte ich, dass Jean-Claude Juncker auch alle Unterstützung der EVP-Parteien einschließlich von CDU und CSU hat. Ich habe daran keinen Zweifel.
"Schöner Erfolg für die Europäische Einigung"
Brink: Sie als ehemaliger Präsident des Europaparlaments: Hat es denn wirklich jetzt mehr Einfluss als früher auf die Wahl des Kommissionspräsidenten?
Pöttering: Die politischen Bedingungen sind jetzt andere, weil es im Vertrag steht, dass die Staats- und Regierungschefs das Wahlergebnis berücksichtigen müssen. Das Parlament hat allerdings auch schon 2004 und 2009 seinen Einfluss geltend gemacht. Ich war ja zwischen 1999 und 2007 Fraktionsvorsitzender, deswegen habe ich diese Entwicklung nicht nur miterlebt, sondern mitgestaltet. Das Parlament hat seinen Einfluss auch damals schon genutzt, und es wird ihn jetzt noch mehr nutzen – davon gehe ich jedenfalls aus.
Brink: Hat es sich also bewährt, dass die Parteien erstmals mit Spitzenkandidaten ins Rennen gegangen sind?
Pöttering: Ja, es hat sich absolut bewährt, weil nämlich dieses dazu führt, wie es im Vertrag von Lissabon steht, dass das Wahlergebnis berücksichtigt werden muss. Das war immer eine Forderung des Europäischen Parlaments. Und insofern ist das Europäische Parlament jetzt noch politischer geworden - aber mit dem Unterschied, bei den letzten Malen hat das Parlament seinen Einfluss schon gebraucht, es hat ihn wahrgenommen, aber jetzt steht es im Vertrag. Und das ist der juristisch-politische Unterschied.
Insofern, und das ist immer die europäische Entwicklung gewesen, Europa ist ein Prozess, und dieser Prozess bedeutet, dass man nicht alles an einem Tag mit einer Wahl erreicht, sondern dass man von Wahl zu Wahl immer weitere Fortschritte macht. Und dass wir so weit sind, ist ein schöner Erfolg für die europäische Einigung.
Brink: Sagt der CDU-Politiker Hans-Gert Pöttering, ehemals Präsident des EU-Parlaments. Schönen Dank, Herr Pöttering, für das Gespräch!
Pöttering: Sehr gerne, Frau Brink!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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