Eugene Thacker: "Im Staub dieses Planeten. Horror der Philosophie"
Aus dem Englischen von Frank Brown
Matthes & Seitz, 2020
224 Seiten, 24 Euro
Die Grenze des Verstehbaren
05:37 Minuten
Der New Yorker Philosophieprofessor Eugene Thacker beschäftigt sich gerne mit Nihilismus und Pessimismus, aber auch immer wieder mit Horror. Er ist der Überzeugung, dass Horror als Genre zutiefst philosophisch ist.
Das Buch beginnt mit einem Komparativ, den es nicht gibt: "Die Welt wird immer undenkbarer". Aber vielleicht bedarf es ja neuer sprachlicher Formeln um sich der Welt, wie sie heute ist, zu nähern, eine "Welt der planetarischen Katastrophen, aufkommenden Pandemien, tektonischen Verschiebungen, seltsamen Wetterphänomene… und der stets im Hintergrund lauernden Gefahr des Aussterbens". Eugene Thackers Gegenwartsanalyse setzt sich zu gleichen Teilen aus einem philosophischen Diskurs und einer Analyse von Horrorphantasien in Romanen und Filmen zu einem Versuch zusammen, das Undenkbare doch noch irgendwie gedacht zu bekommen.
Es wird, meint Thacker, auch hier im schleichend apokalyptischen Modus des Komparativs, "immer schwieriger, die Welt... zu begreifen. Sich mit dieser Idee auseinanderzusetzen bedeutet, an eine absolute Grenze dessen zu stoßen, was wir überhaupt über die Welt verstehen können" – und das ist, so Thacker, "eine Idee, die seit Langem ein zentrales Motiv des Horrorgenres ist". Kurz gefasst lautet die These: Horror ist ein nichtphilosophischer Versuch, philosophisch über die Welt nachzudenken.
Am Rand des Denkbaren
Mit dieser These im Gepäck, schleicht sich Thacker ein ums andere Mal an die Grenze des Verstehbaren heran, die jedes Mal zur Grenze des Denkbaren und früher oder später zur Grenze des Sagbaren wird. Das ist durchaus aktuell, was umso mehr erstaunt, als das englische Original bereits 2011 erschien, als erster Band einer Trilogie mit dem Titel "Horror of Philosophy".
Damit ist ausdrücklich nicht eine "Philosophie des Horrors" gemeint, sondern vielmehr "der Horror der Philosophie" – also das Denken des Undenkbaren, wobei die Verwendung der Kursivschrift an dieser Stelle womöglich als sehr feinsinnige Anspielung gelesen werden kann: 100 Seiten später sagt Thacker über den Kronzeugen aller Horrorkommentatoren, den Schriftsteller H.P. Lovecraft, Kursivschrift deute in dessen Prosa "immer auf eine Epiphanie des kosmischen Grauens hin… "
Und die Epiphanie – also die ebenso unerwartete wie wirkmächtige Erscheinung – eines nachgerade kosmischen Grauens beginnt in unserer Gegenwart gerade, Alltag zu werden: nicht löschbare Feuersbrünste, Zivilisationen vertilgende Heuschreckenschwärme, uneindämmbare Pandemien…
Mystik müsste heute klimatologisch sein
Am Ende verleitet der Horror der Philosophie den Autor zum Ruf nach einer neuen Mystik. "Wenn die historische Mystik in letzter Instanz theologisch ist", so Thackers letzte Worte, "so müsste die Mystik heute – eine Mystik des Unmenschlichen – in letzter Instanz klimatologisch sein… eine Mystik, die nur im Staub dieses Planeten ausgedrückt werden kann." Und der ist zuvor von Wetterkapriolen im Zuge der Klimaerwärmung aufgewirbelt worden. Was erstaunlicherweise schon J.G. Ballards in seinem Roman "Der Sturm aus dem Nichts" von 1961 zu handfestem Horror verarbeitet hat – und zwar, wie man nach der Lektüre von Thackers Essay erkennt, philosphisch-gedanklich ebenso wie nach allen Regeln der Genreliteratur.