Ethnologische Ausstellung

Fotografie als Gewaltakt

Von Rudolf Schmitz  · 15.01.2014
Eine Ausstellung im Weltkulturenmuseum Frankfurt macht das schwierige Erbe der Völkerkundemuseen zum Thema: Zu sehen sind unter anderem Fotos von Wanderarbeitern in Deutsch-Neuguinea, die gezwungen wurden sich nackt ablichten zu lassen.
Wer bisher dachte, dass die geschmückten Ahnenschädel aus Melanesien die Schocker des Museums seien, sieht sich jetzt eines Besseren belehrt. Das Weltkulturenmuseum in Frankfurt öffnet sein Archiv und zeigt nie ausgestellte Fotografien. Ihr Anblick jagt Schauer über den Rücken. Nackte Männer, Frauen, Kinder: Wanderarbeiter einer Plantage in Deutsch-Neuguinea. Gemacht hat sie Ende des vorletzten Jahrhunderts der Tropenarzt Bernhard Hagen, Gründungsdirektor des Frankfurter Völkerkundemuseums von 1907. Es sind regelrechte Fahndungsfotos: Nackte von vorn, von hinten, im Profil. Die Fotografierten wirken eingeschüchtert, gedemütigt, ratlos. Das Fotografieren als Gewaltakt. Clementine Deliss, Direktorin des Weltkulturen-Museums:
"Das sind Fotos, die schwierig sind, weil man weiß nicht, ob die Personen so fotografiert werden wollten. Die sind nackt, er hat auch Genitalien von Männern fotografiert, und die Hintergründe dafür sind sehr schwer zu eruieren. Es ist nichts, was man leicht zeigt, wir sind nicht gewohnt, völkerkundliche Sammlungen wirklich zu entblößen."
Die Fotos wirken so brutal, weil sie Menschenverwaltung und Menschenvermessung zeigen, weil es da offensichtlich auch um Rassetheorien geht. Clementine Deliss, in London geboren und aufgewachsen, will in ihren Ausstellungen jene Fragen aufwerfen, die bisher in diesem Museum nicht gestellt wurden: Woher kommen die Exponate, wer hat sie gemacht, wie und warum wurden sie erworben, was ist ihre Geschichte, welche Interessen waren da im Spiel?
Stereotypes Menschenbild und Rassentheorien
Sie sucht nach einer neuen Definition des Weltkulturenmuseums und damit nach neuen Darstellungsweisen der Exponate. Sie will ein Museum, das sich selbst reflektiert. In der aktuellen Ausstellung erscheinen seine Exponate als Waren eines globalen Marktes. Denn für Museumsgründer Bernhard Hagen war es seinerzeit klar, dass auch Frankfurter Kaufleute und Banker völkerkundliches Wissen brauchten. Deutschland war zur Handelsweltmacht geworden, da musste man sich mit den Kulturen der Kolonien auskennen.
O-Ton Audioinstallation
Diese Audioinstallation des Künstlers David Weber-Krebs begleitet geschnitzte Krokodilsköpfe, aus Muscheln zusammengefügte Brauthauben, Geldgürtel aus Konusschneckenschalen. Sie sind auf einem langgestreckten Tisch ausgebreitet. Stücke der Expedition nach Neuguinea, die noch 1961 von Frankfurter Ethnologen durchgeführt wurde. Die Audioinstallation, angeregt von archivarischen Notizen, zeigt auf sinnfällige Weise die Hilflosigkeit der Sammlungsverwaltung. Clementine Deliss hat sich von Anfang an der Mitarbeit von Soziologen, Schriftstellern und Künstlern versichert, als es um die Frage neuer Darstellungsmethoden, neuer Zugänge zu den Objekten der Sammlung ging.
Clementine Deliss: "Ich bin der Meinung, dass Völkerkundemuseen in 2014 sich nicht von innen aus heilen können, ich glaube, sie brauchen externe Impulse, und heutzutage ist die künstlerische Forschung sehr avanciert, diesmal, da es um die Geschichte des Museums ging, haben wir Künstler eingeladen, auch einen Jurist und zwei Schriftsteller, wo wir wussten, dass sie bereit wären, auch mit schwierigem Material umzugehen."
Sie will ein Museum, das sich selbst reflektiert
Schwieriges Material, das sind auch die voyeuristisch wirkenden Fotos zweier Missionare, die ebenfalls nackte Menschen und Pygmäen fotografierten, um Geld für ihre Missionen zu sammeln. Oder Schaufiguren wie diejenige des Neuguineaners namens Kubai, dessen Modell nach Fotografien von Bernhard Hagen hergestellt worden war. Die Künstlerin Peggy Buth zeigt vier identische Schaufiguren, aufgereiht in einem abgesperrten Raum, und betont so das Stereotype dieses Menschenbildes.
Clementine Deliss: "Was heißt Verwaltung, die Verwaltung von Menschen und Objekten? Klingt fad, klingt langweilig, ist aber überhaupt nicht der Fall. Wie kann ich an- und einordnen? Zweite Frage, was spielt die Fotografie für eine Rolle in der Einordnung, in bezug zu Völkerkundemuseen, was ist die Fotografie? Und drittens: wie gehe ich um mit der Rhetorik, wie kann ich dem Besucher diese schwierigen Problematiken näher bringen ohne ihm eine Art von flacher Erklärung zu produzieren, wo ich dann sage: Diese Kultur denkt so, isst so, schläft so, glaubt so, produziert so, et cetera. Das finde ich, ist nicht mehr die Rolle des Völkerkundemuseums."
Manchmal gewinnt man den Eindruck, die Museumsdirektorin Clementine Deliss sei froh über den reduzierten Schauraum, den die Museums-Villa am Frankfurter Mainufer bietet. So kann sie sich aufs Wesentliche konzentrieren.
Clementine Deliss: "Ich glaube was wir hier machen, mit unserem begrenzten Raum, ist, dass wir eigentlich eine neue Methodologie entwerfen, die sehr wichtig ist. Ich bin der Meinung, dass das, was wir hier machen, ein wirkliches Labor ist."
Labor, Versuchsstation, einmalige Chance einer ungewöhnlichen politischen Bildung, Ort, wo unzählige Fragen gestellt und verblüffende Geschichten erzählt werden – ein Museum in Frankfurt wagt das Experiment und erfindet sich neu.
Mehr zum Thema