Gewebtes, Gestricktes, Gehäkeltes und Dutzende von Totenköpfen

Von Anna Marie Goretzki · 10.10.2013
Als junge Frau ging Lena Bjerregaard nach Mexiko, um die Sprache zu lernen. Viel mehr als für die Sprache interessierte sie aber die Kleidung, die die Menschen dort trugen. Heute restauriert sie im Museum jahrhundertealte Kleidungsstücke aus Südamerika - und gilt als eine der wenigen Expertinnen auf diesem Gebiet.
"Ich war auf eine Party, habe ich einen Mann getroffen, der Arzt ist, so ein Oberarzt, und der ist spezialisiert in Magen-Darm-Ding und wir haben dann gesprochen, er hat mir gefragt, was ich mache und ich habe gesagt, dass ich war hier in Berlin als verantwortliche Restauratorin für präkolumbische Textilien. Hat er gesagt: und ich glaubte, ich war ein Nerd?! Wir haben nicht viel Licht hier."

Lena Bjerregaard [sprich: Bjargo] ist in den Katakomben des Ethnologischen Museums in Berlin Dahlem unterwegs, in der Textilsammlung "Archäologisches Amerika". Es ist schummrig, die Belüftungsanlage surrt und es riecht nach Konservierungsmitteln. In Schubladen und hinter gläsernen Schranktüren verbergen sich Kostbarkeiten: Federschmuck, Gewebtes, Gestricktes, Gehäkeltes, Dutzende von Totenköpfen und jede Menge Mumien. Lena Bjerregaard ist weltweit eine der wenigen Expertinnen für Textilien aus Peru, Mexiko oder Kolumbien, die aus der Zeit vor Kolumbus' Ankunft stammen.

"Ich muss gucken, ob es hier ist, ob es hier ist, ja, hier, wir haben hier eine größere Sammlung von Sicán-Textilien und ganz früh, so 1000 bis 1200 oder so was.. Normalerweise sind alle diese Kleider, viereckig. Hier habe ich aber was Dreieckiges gefunden! Und das ist ja total toll und spannend!"
In Puzzlearbeit Textilfragmente zusammenfügen
Kleine Stoff-Blumen und deren Wurzeln scheinen aus dem Textil herauszuwachsen. Lena Bjerregaard hat in den letzten Monaten Puzzlearbeit betrieben und mithilfe eines Bildbearbeitungsprogramms einzelne Textil-Fragmente der Sicán-Kultur zusammengefügt. Und siehe da: eine Art dreieckiges Hüfttuch für Frauen entdeckt. Das ist einmalig. Denn: bisher ging man davon aus, dass die Inkas nur viereckige Textilien trugen.

"Die haben ja so viele Techniken so perfekt benutzt, dass es so beeindruckend ist. So eine Textilfrau wie ich: Ah, ist das toll! Haben sie das schön gemacht! Und sooo klein! Für mich ist das ja ein Eldorado hier, das ist die größte Sammlung außerhalb von Amerika und dass ich mich damit beschäftigen kann, war immer eine große Freude, ne?"

Die zierliche, agile Dänin mit den dunkelblonden Haaren schließt die Studiensammlung ab und beginnt den Aufstieg zu ihrem lichtdurchfluteten Büro, das Werkstatt und Bibliothek zugleich ist. Große Bücherregale säumen die Wände, eine Pfauenfeder steckt zwischen Familienfotos, auf einem überdimensionalen Tisch liegen Stoffe und Seidenpapier. Lena Bjerregaard setzt sich schwungvoll an einen kleinen Nebentisch. Ihre Bananen-Ohrringe – passend zum Gelb ihres Strickpullis – schwingen nach. Die 63-Jährige hat in ihrem Leben stets Herausforderungen gesucht.

"Ich komme aus einer Familie, wo man in die Uni geht. Na gut. Habe ich dann mein Abitur gemacht, bin ein bisschen herumgereist und dann musste ich ja irgendwie etwas tun. Habe ich die Lektionskatalog von der Uni angeguckt, so was es von Möglichkeiten gibt und da stand Indianische Sprache und Kulturen! Das wollte ich doch gerne studieren! Ne?!"

Für das Sprachstudium geht sie nach Mexiko. Mehr als die Sprache interessiert sich Lena Bjerregaard aber für die Kleidung der Leute, in deren Dorf sie lebt. Über Umwege kommt sie auch nach Guatemala.

Zurück aus Mittelamerika zieht die junge Frau Mitte der 70er in eine der ersten Kopenhagener Kommunen und identifiziert sich mit den sozialen und ökonomischen Ideen der Zeit.

"Ich bin ein alter Hippie. Bestimmt!"

Die Museumsarbeit hat Vorzüge
Sie schreibt ein Buch über guatemaltekisches Weben. Groß ist ihr Wunsch, abermals einen neuen Weg einzuschlagen, nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit den Händen zu arbeiten. Lena Bjerregaard bewirbt sich an der Restaurierungsschule in Kopenhagen und arbeitet anschließend eine Hälfte des Monats im Archäologischen Museum von Aarhus, in der anderen Hälfte entwirft sie Kostüme für das heute weltbekannte interkulturelle Odin Theater.

Fast zehn Jahre tourt sie mit dem Theater um die Welt. Sie ist in ganz Europa, in Süd- und Mittelamerika unterwegs. Die Wanderjahre finden ein natürliches Ende als Lena Bjerregaard Mutter wird. Sie besinnt sich auf die Vorzüge der Museumsarbeit:

"Im Theater, weißt du, wenn du Kostüms machst, für ein Schauspieler, dann hüpft der herum und so und so und zerstört das ganze Ding, ne. Da habe ich gedacht: Im Museumswelt, da baust du eine Vitrine auf, du kontrollierst selbst wie das steht, welche Licht da ist, welche Feuchtigkeit, alles entscheidest du selbst und es bleibt dort stehen."

Im Jahr 2000 nimmt sie ihre heutige Stelle als Textilrestauratorin am Ethnologischen Museum Berlin an. Immer noch ist sie viel unterwegs: Im Auftrag des Museums reist sie als Kurier, um seltene Textilien nach Thailand, Brasilien, Südafrika oder in die USA zu begleiten.

"Mein ganzes Leben wollte ich Spaß haben und das will ich noch."