Ethikrat zum Thema Suizid

Freiheit, Verantwortung und Prävention

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Schattenriss eines Mannes, der in einem Tunnel an der Wand hockt und in Richtung Licht blickt.
Schwierige Lebenslagen können Menschen zu Verzweiflungstaten treiben. Der Ethikrat will, dass solchen Situationen mehr vorgebeugt wird. © IMAGO / YAY Images / Arsgera
Andreas Lob-Hüdepohl im Gespräch mit Julius Stucke · 22.09.2022
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Der Ethikrat legt eine Stellungnahme zum Thema Suizid und Sterbehilfe vor. Dabei betont er die freiverantwortliche Entscheidung und fordert zugleich mehr Prävention. Konkrete Empfehlungen an die Politik enthält das Papier aber nicht.
In der Debatte um eine gesetzliche Regulierung der Suizidassistenz fordert der Deutsche Ethikrat eine sorgfältige Abwägung der Kriterien für diese Form der Sterbehilfe. In einer neuen Stellungnahme betont das Expertengremium die Bedeutung der freiverantwortlichen Entscheidung. Nur bei einem freiverantwortlichen Suizid dürfe Hilfe geleistet werden, heißt es.
Zentral ist für den Rat daher, die Voraussetzungen für solch eine freie Willensentscheidung zu klären. Der Theologe und Sozialethiker Andreas Lob-Hüdepohl hat an der Stellungnahme mitgearbeitet. Diese solle den Blick auf das Thema weiten und ein Bewusstsein für die Vielschichtigkeit von Suizidalität schaffen, betont er.

Grundrecht auf Leben

Konkrete Empfehlungen für oder gegen die bereits im Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfe geben die Experten allerdings nicht ab. Dafür fordert das Gremium mehr Anstrengungen im Bereich der Suizidprävention, um dem Grundrecht auf Leben gerecht zu werden.
Der Respekt vor einem freiverantworteten Suizid dürfe nicht dazu führen, „dass uns Suizide - als Individuen, institutionell oder gesellschaftlich - egal sein dürfen“, sagt die Ethikrat-Vorsitzende Alena Buyx. Lob-Hüdepohl ergänzt: Es müsse alles dafür getan werden zu verhindern, dass Menschen in eine Lebenslage kämen, in denen der Suizid als einziger Ausweg erscheine.
Mehr als 9.000 Menschen nahmen sich 2021 das Leben. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 geurteilt, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch das Recht umfasst, hierbei Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Eine bis dahin geltende Regelung, die organisierte Suizidassistenz von Sterbehilfeorganisationen verboten hatte, erklärte das Gericht für nicht zulässig.

Drei Gruppen im Bundestag

Nun geht es im Bundestag um eine mögliche Folgeregelung. Drei Gruppen mit Abgeordneten verschiedener Fraktionen haben dazu Vorschläge vorgelegt, die unterschiedlich weit gehen, etwa bei der Frage der Prüfung und Beratungspflicht bei einem Suizidwunsch.
In der 134-seitigen Stellungnahme der Ethik-Experten wird deutlich, dass die konkrete rechtliche Regelung auch innerhalb des Rats umstritten ist. In dem 24-köpfigen Gremium würden „zur moralischen Bewertung von Suizidhandlungen, zur Suizidassistenz und zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts verschiedene Auffassungen vertreten“, heißt es gleich zu Beginn Papiers.
Einen Dissens gibt es beispielsweise darüber, ob nur Volljährige Suizidassistenz beanspruchen dürfen, ob auch einem vor dem Beginn einer den freien Willen beeinträchtigenden Krankheit festgelegten Suizidwunsch nachgekommen werden muss und wie weit eine Aufklärungspflicht gehen soll.

Auf jeden Fall Aufklärung

Dass es die Aufklärung geben muss, ist dagegen Konsens. Die Betroffenen müssten alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte kennen, heißt es. Einigkeit besteht im Rat auch darüber, dass eine psychische Erkrankung das Recht auf Hilfe beim Suizid nicht grundsätzlich ausschließt und Einrichtungen wie Pflegeheime transparent machen sollten, wie sie mit Suizidwünschen umgehen.
(epd/ahe)

Hinweis der Redaktion: Sollten Sie Hilfe in einer schwierigen Situation benötigen, können Sie sich jederzeit an die kostenlose Hotline der Telefonseelsorge wenden: 0800/1110111. Spezielle Hilfsangebote zum Thema Suizid finden Sie bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention unter https://www.suizidprophylaxe.de/

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