Kommentar

Die etablierten Parteien verrichten das Werk der AfD

04:16 Minuten
Mit Stacheldraht gesicherter Zaun, Symbolfoto Sicherung der EU-Außengrenzen
Abschottung vor Geflücheten: Wer hat es gefordert - und wer hat es umgesetzt? © picture alliance / CHROMORANGE / Christian Ohde
Ein Kommentar von Bijan Moini · 06.11.2023
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Der Erfolg der AfD wächst, auch in Westdeutschland. Was tun die etablierten Parteien? Sie heben die Flüchtlingspolitik auf ihrer Agenda nach oben. Dabei ähnelten ihre Vorschläge immer mehr denen der Rechtspopulisten, meint der Jurist Bijan Moini.
Es tut weh, aber feststellen muss ich es trotzdem: Die AfD ist die erfolgreichste Oppositionspartei der neueren deutschen Geschichte. Ohne je an einer Regierung beteiligt gewesen zu sein oder auch nur ein einziges einschlägiges Gesetz mitverantwortet zu haben, kommt sie ihrem wichtigsten Ziel jeden Tag ein wenig näher: Biodeutschland. Ihr Werk verrichten andere für sie. Ganz ohne Zuckerbrot und ohne Blick für die Alternativen lassen sich die Spitzen von Union und FDP, von SPD und auch den Grünen in ein Land peitschen, das sich kalt und unwirtlich anfühlt, in eine Zukunft, die nicht schwarz ist, aber blau.

Die Ampel macht billigen Populismus

Man kommt kaum noch hinterher. Auf dem "Spiegel"-Cover prangt Bundeskanzler Scholz mit dem Satz, „wir“ müssten „endlich im großen Stil abschieben“. Das Bundeskabinett beschließt einen Gesetzentwurf, wonach Menschen vor Abschiebungen noch länger eingesperrt werden dürfen und auch langjährig Geduldete ohne Ankündigung abgeschoben werden können. Die FDP-Bundesminister Lindner und Buschmann wollen unter bestimmten Voraussetzungen Sozialleistungen für Schutzsuchende auf null senken. Und Teile der Union fordern gleich die Abschaffung des Asylrechts selbst und sinnieren, wie einst Beatrix von Storch, über den Waffeneinsatz an unseren Außengrenzen.
Das alles ist billiger Populismus. Billig, weil Gesetzesverschärfungen kaum Geld kosten und trotzdem Geschäftigkeit demonstrieren; weil die Erleichterung von Abschiebungen wegen der geringen Zahl tatsächlich abschiebefähiger Menschen – es sind nur um die 50.000 – kaum etwas bewirken wird; und billig vor allem, weil die davon Betroffenen leichte Opfer sind, die sich nicht wehren können.
Dieser Populismus ist aber nicht nur billig, er ist auch brandgefährlich. In erster Linie für all jene, die selbst unter den Verschärfungen und der sich ausbreitenden Haltung leiden, dass sie nicht nach Deutschland gehörten und zu bekämpfen seien. Gefährlich ist es aber auch für die willfährigen Gehilfen der AfD und für die Demokratie insgesamt. Denn das Werk des Rechtspopulismus zu verrichten, bestätigt seine Forderungen, macht ihn wählbar und bereitet so den Boden für das, was die Ampel angeblich zu verhindern sucht: eine Regierung mit Beteiligung der AfD.

Die Migrationskrise ist ein Scheinriese

Eine Studie nach der anderen zeigt, dass nur das Original von kopierter Politik profitiert. Im Bereich des Klimaschutzes haben das FDP, Union und SPD intuitiv verstanden und lassen zu unser aller Leidwesen die Grünen immer wieder auflaufen; in Fragen der Migration stellen sie sich dumm. Dabei wäre es das viel bessere Mittel gegen die AfD, seine eigene Agenda zu setzen und sie möglichst schnell und gut umzusetzen.
Der ganze irrationale Aktionismus um die Begrenzung von Migration schürt hingegen nur Feindbilder und übergeht eine viel wichtigere Frage: Sind Abschiebungen wirklich eine der drängendsten Fragen unserer Zeit? Vor oder auch nur neben der Klimakatastrophe, dem Pflegenotstand, der Inflation, der Wohnungsnot, dem ausgelaugten Bildungssystem, der maroden Infrastruktur, der darbenden Wirtschaft, der alternden Gesellschaft, der riesigen Kluft zwischen Arm und Reich, den Kriegen in der Ukraine und in Israel und dem langsamen Niedergang der Demokratie weltweit? Die sogenannte Migrationskrise ist neben diesen wahrlich riesenhaften Herausforderungen nur ein Scheinriese, der umso kleiner wird, je näher man ihm kommt.
Wenn meine Eltern nach der iranischen Revolution nicht nach Deutschland ausgewandert wären, müsste ich jetzt täglich um meine Freiheit und um mein Leben bangen. Und wenn sich Deutschland nicht besinnt, droht es auch wieder ein Ort zu werden, in dem solche Ängste begründet sind. So was passiert schneller, als man denkt.

Bijan Moini ist Rechtsanwalt und Politologe und leitet das Legal Team der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Nach dem Rechtsreferendariat in Berlin und Hongkong arbeitete er drei Jahre für eine Wirtschaftskanzlei. Dann kündigte er, um seinen Roman „Der Würfel“ zu schreiben (2019, Atrium). 2022 erschien von ihm bei Hoffmann und Campe „Unser gutes Recht. Was hinter den Gesetzen steckt“ – ein anekdotischer Überblick über das, was unsere Gesellschaft zusammenhält.

Der Autor und Jurist Bijan Moini, kurze dunkle Haare, braune Augen, schaut in die Kamera.
© picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
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