DDR-Historiker mit Sympathie für den "eisernen Kanzler"
Auf mehr als 1600 Seiten hatte der Historiker Ernst Engelberg seine Otto-von-Bismarck-Biografie ausgebreitet, Ende der 1980er-Jahre erschienen die beiden Bände. Nun hat sein Sohn den Text auf einen Band gekürzt. Es ist ihm gelungen, die Stärken des Ausgangstextes herauszuarbeiten und seine Schwächen zu mindern - an die Sensation der Ursprungsbände wird er aber nicht anknüpfen.
Rund zwei Jahrzehnte hat der in der damaligen DDR lebende und lehrende Historiker Ernst Engelberg an seiner Biografie Otto von Bismarcks gearbeitet, die ursprünglich in zwei Bänden erschien und über 1600 Seiten Umfang hatte. Sensation machte vor allem der erste Band unter dem Titel "Bismarck. Urpreuße und Reichsgründer", der vier Jahre vor dem Fall der Mauer gleichzeitig in der DDR und in der Bundesrepublik veröffentlicht wurde. Als im Herbst 1990 der zweite Band "Bismarck. Das Reich in der Mitte Europas" vorgelegt wurde, konnte von einer neuerlichen Sensation keine Rede mehr sein: Die stürmische politische Entwicklung, die gegen Ende der 1980er Jahre eine Antwort auf die "deutsche Frage" verhieß, hatte die Voraussetzungen dafür weggespült.
Habent sua fata libelli – auch Bücher haben eben ihre Schicksale.
Viel spricht dafür, dass der sensationelle Erfolg des ersten Bands von Engelbergs Bismarck-Biografie, für den man damals im Buchhandel 48 D-Mark berappen musste, auch seinen Ursprung in einem gewissermaßen schicksalhaften Missverständnis hatte. Bismarck, so wähnten damals sehr viele in der Bundesrepublik, müsse der "real existierenden DDR" als eine historische Un-Person, als ein wahrhaftiger Gottseibeiuns gelten.
Marxisten erkannten in Bismarck einen Agenten des Hegelschen Weltgeistes
Das war jedoch, wie Engelbergs durchaus "linientreue" Bismarck-Biografie zeigte, in der die Zeugnisse von Marx und Engels, wie auch die von Lassalle, Bebel und Liebknecht immer wieder aufgerufen werden, ein großer Irrtum. Das marxistische Geschichtsverständnis war zwar dem politischen System des rabiaten Anti-Sozialisten Bismarck spinnefeind, hegte aber für den Mann, in dem man einen Agenten des Hegelschen Weltgeists erkannte, durchaus Bewunderung und Hochachtung.
Das erklärt es, dass die Bismarck-Biografie Engelbergs von Empathie, ja bisweilen überraschender Sympathie für ihren Protagonisten getragen ist. Das entfaltet eine entschieden positive Wirkung bei der Schilderung von Herkommen und Jugend Bismarcks, mit der Engelberg eine Schilderung gelungen ist, die sich hinsichtlich ihrer Genauigkeit wie ihrer Plastizität kaum mehr übertreffen lassen dürfte.
Den politischen Täter Bismarck zeichnet Engelberg hingegen bisweilen zu nachsichtig und folgt damit blindlings den Urteilen von Marx und Engels, die ihn als Prokuristen des Weltgeists identifizierten.
Dass der Sohn, Achim Engelberg, jetzt die zweibändige Bismarck-Biografie des Vaters auf rund die Hälfte ihres ursprünglichen Umfangs eingekürzt und in einem Band vorgelegt hat, bringt die Stärken dieser Darstellung zur Geltung und mindert gleichzeitig ihre Schwächen. Das Ergebnis ist ein Bismarck-Bild, das einigermaßen passgenau der heute gültigen Orthodoxie entspricht, die von der Historiker-Zunft als endgültige Historisierung des "eisernen Kanzlers" sanktioniert wird.
Ernst Engelberg, Achim Engelberg: Bismarck. Sturm über Europa. Biografie
Siedler Verlag München 2014
752 Seiten, 39,99 Euro