Elisa Diallo: "Französisch verlernen"

Ein starker Appell für Demokratie

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Buchcover: "Französisch verlernen" von Elisa Diallo
Der Ton, den Elisa Diallo anschlägt, ist nicht anklagend oder polemisch. Und das macht die Stärke dieses Essays aus. © Deutschlandradio / Berenberg Verlag
Von Clarisse Cossais · 27.03.2021
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Trotz rassistischer Erlebnisse als Austauschschülerin in Schweinfurt hat Elisa Diallo beschlossen, Deutsche zu werden. In ihrem sehr persönlichen Essay „Französisch verlernen“ erklärt sie ihre Beweggründe und wirbt für eine weltoffene Demokratie.
In dem knappen 160-Seiten-Essay mit dem etwas provokativen Titel "Französisch verlernen" beschreibt Elisa Diallo mit großer Feinfühligkeit und Eindringlichkeit das Jahr 2017, in dem sie beschloss, Deutsche zu werden. Das Buch ist 2019 in Frankreich unter dem Titel "Fille de France" – wortwörtlich "Tochter Frankreichs" – erschienen. Der Buchtitel ist eine Anspielung auf den königlichen Titel, den die Kinder der französischen Könige trugen, schlicht und einfach "Fils de France" oder "Fille de France", also "Sohn oder Tochter Frankreichs". "Fils de France" war aber auch 2002 der Titel eines Protestsongs des Sängers Saez, geschrieben als Antwort auf jene 20 Prozent Stimmen, die damals der Präsidentschaftskandidat Le Pen erhalten hatte.

Immer wieder dieselben ausgrenzenden Fragen

Was bedeutet es nun, als "Fille de France" Französin zu sein und Französisch zu sprechen? Und dann in Deutschland zu leben und – wie der deutsche Titel es suggeriert – "Französisch verlernen" zu wollen?
Elisa Diallo ist Jahrgang 1976, sie lebt seit 2009 in Deutschland, nachdem sie in den Niederlanden Literaturwissenschaft studiert hat. Dort hat sie auch ihren späteren Mann und Vater ihrer drei Kinder kennengelernt. Ihre Mutter stammt aus Frankreich, ihr Vater kam aus Guinea, und sie hat schon als Kind täglich unter dem Rassismus ihrer Mitmenschen leiden müssen. Sie erinnert sich an Situationen in der Schule, im Alltag, bei der ihr immer wieder die Frage gestellt wurde: "Wo kommst Du her? Nein, wo kommst Du wirklich her?"
Inzwischen hat sie sich angewöhnt, lapidar mit "aus Paris" zu antworten, und es scheint in Deutschland einigermaßen zu funktionieren. Und doch bedeutet jedes einzelne Mal, wenn sie das gefragt wird, dass ihre Legitimität infrage gestellt wird, weil sichtbar ist, dass sie nicht nur eine europäische Herkunft hat. In den seltensten Fällen steckt wirkliche Neugierde dahinter.

Voller Witz und mit feiner Beobachtungsgabe

Der Ton, den Elisa Diallo anschlägt, ist aber nicht anklagend oder polemisch. Und das macht die Stärke dieses Essays aus, der auch eine bittere Bilanz der postkolonialen Zeit in Frankreich ist. Elisa Diallo erzählt präzise und in eleganter Sprache von ihren eigenen Erfahrungen und stellt ernüchtert fest: In dem Land, in dem die Brüderlichkeit an jeder Rathausfassade in Stein gemeißelt steht, ist die Integration der Nachkommen der ehemals Kolonisierten nicht gelungen.
Nach ersten traumatischen Erfahrungen als Austauschschülerin in Schweinfurt, wo Leute auf der Straße anhielten, um sie anzustarren, und wo die Mutter ihrer Brieffreundin sie verbal misshandelte, hat sie mittlerweile in Deutschland den Eindruck gewonnen, sich wesentlich freier bewegen zu können und nicht ständig auf ihre Herkunft reduziert zu werden. Sie schränkt dabei ein, dass es sicherlich auch mit dem Milieu zu tun hat, in dem sie arbeitet – dem Verlagswesen.
Aus diesem Grund hat Elisa Diallo 2017 entschieden, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. In 18 knappen Kapiteln erzählt sie voller Witz und mit feiner Beobachtungsgabe, welche Hürden sie auf dem Weg zur ersehnten neuen Nationalität passieren musste. Schon der erste Termin in der Ausländerbehörde drohte zur Katastrophe zu werden.

Appell gegen Rassismus und für Demokratie

Aber Elisa Diallo lässt sich nicht von dem bürokratischen Aufwand entmutigen. Geduldig sammelt sie die erwünschten Dokumente, macht sich dabei immer wieder über sich selbst lustig und lässt im Laufe der Erzählung Erinnerungen aus ihrer Kindheit und aus der Familiengeschichte ihrer Eltern in den Text einfließen. Ihr Vater ging als junger Mann nach Moskau zum Studieren, dort wurde er Ingenieur. Später ging er nach Paris, wo er während des Studiums der Politikwissenschaften die spätere Mutter von Elisa Diallo kennenlernte.
Für die französische Familie der Mutter schien es anfangs – trotz aller Beteuerungen der Eltern der Braut – nicht so einfach, einen schwarzen jungen Mann als künftigen Schwiegersohn zu akzeptieren. Aber Mamadou Diallo war schön und eroberte bald die Herzen seiner französischen Schwiegerfamilie. Er selbst hatte sich bewusst nicht von seiner Mutter verabschiedet, aus Angst, ihren Tränen nicht widerstehen zu können, und es war ihm später auch nicht möglich, zu ihrer Beerdigung zu gehen. Guinea war inzwischen keine Kolonie Frankreichs mehr, und es herrschte dort ein Militärregime. Dem Vater von Elisa Diallo wurde die Einreise verwehrt, er hätte sich sonst beim Militär verpflichten müssen.


Elisa Diallo hat mit "Französisch verlernen" ein brisantes Essay über die Situation vieler Bürger*innen in Deutschland geschrieben, deren Herkunft mehr als weiß und europäisch ist. Es ist auch ein Appell an uns alle, sich tatkräftig gegen Rassismus und für die Demokratie einzusetzen. Elisa Diallo plädiert für einen Dialog innerhalb der Gesellschaft, für ein Zuhören der weiterhin diskriminierten Minderheiten und bleibt – trotz ihrer traurigen Bilanz – optimistisch, dass es "Deutschland, das einst das Labor des Grauens war", eine "europäische, multiethnische Zukunft haben" könnte:
"Warum sollten wir nicht eine Gesellschaft werden, in der Kosmopolitismus, Diversität, Komplexität wieder positive Werte sind? In diesem Moment sehe ich keinen Grund, nicht daran zu glauben. Also glaube ich daran."
Und nach dieser Lektüre wollen wir auch daran glauben.

Elisa Diallo: "Französisch verlernen"
Übersetzung: Isabel Kupski
Berenberg Verlag, 2021
240 Seiten, 14 Euro

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