Der erste und der letzte Ton
Die Geschichte der EKI 1 Toccata-Orgel, die als erste ihrer Art die perfekte elektronische Klangkopie beherrschte - und trotzdem verstummt ist und vergessen wurde.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Gründung der DDR im Jahr 1949 boomt es im "sozialistischen Staat der Arbeiter und Bauern". Die Wirtschaftsleistung verdoppelt sich in den 50er-Jahren. Wohnungen, Industrie, Agrarwirtschaft - alles ist im Aufschwung. Auch die Kultur blüht. Theater, Jugend-, Konzert- und Kulturhäuser entstehen. Und die sollen bespielt werden. Aber womit?
Mit sozialistischem Stolz und wachsender Wirtschaft im Rücken wird in Berlin eine Eigenentwicklung beauftragt. Eine elektronische Orgel, made in GDR. Einzigartig soll sie sein.
"Elektronenorgeln waren in den fünfziger-Jahren in Mode ja auch international. Man hat sich damit beschäftigt, nicht nur in der DDR auch in Westdeutschland. Es gab auch schon Orgeln vorher, aber man hat denen angehört: Das ist eine Elektronenorgel."
Das ist Wolfgang Mögling. Heute engagiert er sich im Industriesalon Schöneweide. Ein Verein und Museum für Industriekultur, das in einer 600qm großen Halle diverse Exponate ausstellt.
"Ich erzähle den Leuten, was hier so wichtig und schön und bemerkenswert ist."
Sie sollte klingen wie eine Kirchen-Orgel
Und dazu gehört auch die Anfang der 50er-Jahre entwickelte elektronische Toccata-Orgel EKi 1, die nie so sein wollte, wie die zeitgleich weltweit so populäre Hammond Orgel.
"Man hört, dass die Hammond-Orgel keine Kirchenorgel ist. Oskar Sala hat in den 30er Jahren Versuche gemacht mit Orgeln, aber die Töne ,die da rauskamen, die waren eben nicht so, dass man Bachs Toccata hätte drauf spielen können."
Das Entwicklungsziel war, diese elektronische Orgel vom Höreindruck so zu gestalten, dass er nicht zu unterscheiden ist von einer Pfeifen-Orgel.
Um das realisieren zu können, braucht man geeignete Elektronik-Ingenieure. Die gibt es Anfang der 50er vor allem in Berlin, im WF, das Werk für Fernsehelektronik. Ein Volkseigener Betrieb, der u.a. Elektronenröhren produziert. Dort arbeitet Heinz Finder und er ist unzufrieden.
"Und dann bin ich zur WF gekommen zur Röhrenfertigung, dann Fernsehkameras. Das wollte ich nicht. Nee nee. Da hat mein Chef gesagt, du wirst zwangsversetzt."
Und so landet er im Akustiklabor. Gegen seinen Willen. Er protestiert.
"Und da hat der Leiter gesagt: Nischt is! Du gehst da rein. Und dann bin ich rein gegangen. Und ich muss sagen, ich habs nicht bereut. Das hat mir Spaß gemacht bis zum geht nicht mehr."
Silbermann-Orgel als Vorbild
Die Arbeit ist besonders reizvoll, denn die Aufgabe, eine Elektronische Orgel mit authentischem Klang zu entwickeln, ist eine riesige Herausforderung. Wie schafft man es, ein kompaktes, mobiles, elektronisches Instrument zu bauen, das so klingt, wie sein handfestes, riesiges, mechanisches Vorbild? Es geht schließlich darum, den unverwechselbaren Klang einer Kirchenorgel elektronisch zu kopieren.
"Wir sind also in der DDR rumgefahren in Freiberg in Rotha in die Silbermann Orgel haben Aufnahmen gemacht und haben mit diesen Aufnahmen uns über Oszilliographen genau angeguckt: Wie sind die Einschwingungen? Wie sind die Ausschwingen? Was hat die Silbermann überhaupt für Frequenzen drin? Warum klingt die nach Silbermann?"
Im sächsischen Freiberg gab es fünf Orgeln des berühmten Orgelbauers Gottfried Silbermann. Vier davon sind noch erhalten. Die älteste stammt aus dem Jahr 1714 und ist bis heute im Freiberger Dom zu hören. Die Blaupause für die elektronische Kopie, an der Heinz Finder arbeitet, 240 Jahre nach dem ersten öffentlich aufgeführten Ton des imposanten Originals.
"Bei einer Pfeifen-Orgel, da kommt ja Luft rein und bei tiefen Frequenzen dauert das eine Weile, eh die Luft die Röhre voll hat und dann die Luft durch die Mundstücke pfeifen kann. Das dauert ne Weile, bei hohen Tönen geht das schneller weil das dünner ist. Das Endergebnis ist, das wir hier diese Einschwingzeiten nachahmen mussten und das haben wir getan."
Heinz Finder und seine Kollegen setzen die Pläne des Entwicklers Ernst Schreiber um. Erst durch seine ingenieurstechnische Leistung wird aus dem Plan eine umsetzbare Idee. Und so fahren eine Handvoll Ingenieure im Auftrag der DDR durchs Land und zeichnen Orgelklänge auf. Aus Sicht der DDR Führung ein durchaus ambivalentes Unterfangen.
"Man wollte sich vielleicht auch ein bisschen unabhängig machen von der Kirche. Denn wenn Orgel-Stücke aufgeführt werden mussten, ging nur in der Kirche, weil dort halt Orgeln waren und kein Geheimnis, dass die Idee nicht viel mit der Kirche am Hut hatte."