Elektronische Musik

Gegen die Genregrenzen

Von Jörn Florian Fuchs · 02.01.2014
Geboren in Transsylvanien und ausgebildet in Budapest, zog der Komponist Peter Eötvös in die Welt, um die moderne Musik zu revolutionieren. Früh experimentierte er mit elektronischen Mitteln, ignorierte Vorgaben und setzte auf Improvisation. Jetzt feiert er seinen 70. Geburtstag.
Mit elektronischer Musik kam Eötvös schon früh in Berührung, beim Pariser IRCAM und als langjähriger Mitarbeiter am Studio für elektronische Musik des WDR in Köln. Häufig interessiert Eötvös die Schnittlinie von fixierten Vorgaben und Improvisation. In dem mehrfach überarbeiteten Werk "Steine" liegt die Herausforderung für die 22 Instrumentalisten vor allem darin, blitzschnell und präzise auf ihre Mitspieler zu reagieren. Eine Harfenstimme gibt Tonhöhen vor, doch um die meisten Verläufe müssen sich die Mitwirkenden selber kümmern.
Hier kommt der Pädagoge Peter Eötvös ins Spiel, gleich für mehrere Komponistengenerationen war sein Wirken essentiell. 1991 gründete er das Peter Eötvös-Institut, das sich hauptsächlich dem Nachwuchs widmet, wobei Eötvös vor allem Doppelbegabungen schätzt. Er selbst versteht sich gleichberechtigt sowohl als Komponist wie als Dirigent. Und so klingen nun die "Steine":
In seinen frühen Jahren schrieb Peter Eötvös vor allem Film- und Theatermusik. Vermutlich kommt daher sein Interesse am szenischen Klang, der viele seiner Stücke bestimmt. In der 1986 uraufgeführten "Chinese Opera" wird zwar nicht gesungen, aber die Musik ruft starke Bilder beim Hörer hervor.
Witzigerweise brachte gerade dieses Konzertstück Eötvös dazu, eine "richtige" Oper zu schreiben. Kent Nagano hörte von der "Chinese Opera", hielt sie für ein Musiktheater und wollte dieses unbedingt aufführen. Als er merkte, dass das schwerlich möglich ist, beauftragte er Eötvös mit einem abendfüllenden Stück für Lyon, wo Nagano Chefdirigent war. Das Ergebnis heißt "Tri Sestri" und wurde zum Meilenstein der Musikgeschichte.
Keine reine Kopfmusik
In "Tri Sestri" veropert Eötvös Anton Tschechows "Drei Schwestern" auf ganz ungewöhnliche Weise. Das vom Leben und der Welt frustrierte Damen-Trio wird von Countertenören gesungen, die Szenenfolge des Theaterstücks bricht Eötvös auf und schafft durch die Wiederkehr bestimmter musikalischer und inhaltlicher Momente ein rituelles Musiktheater. Das war und ist bis heute Neuland. Mit reiner Kopfmusik und vermeintlicher Avantgarde hat es Peter Eötvös allerdings nicht so, ihn interessieren vor allem Klangsinnlichkeit und stilistische Vielfalt:
"Ich bin von der Einstellung der 60er und 70er, dass wir uns mit einer ganz bestimmten Position isolieren, davon bin ich abgeneigt. Das interessiert mich persönlich auch nicht. Ich finde es schöner, wenn die Musik innerhalb von einem Gesamtfluss stattfindet und man komponiert etwas dazu. Aber in der Komposition gibt es manchmal sprunghaft neue Entdeckungen, so wie in der Literatur oder der Malerei.
Plötzlich entsteht etwas, was man plötzlich gefunden hat und das ist dann sehr wichtig, dieser Moment. Aber das kann man nicht jedes Mal verlangen. Es soll richtig sein, es soll in sich ein musikalisches Leben hervorrufen. Aber das Verlangen, in jedem Stück eine neue Welt aufzustellen, das finde ich übertrieben, das ist nicht nötig."
Bei seinen jüngsten Stücken neigt Peter Eötvös ein bisschen zum Überdimensionalen. Zuletzt schuf er mit der "Tragödie des Teufels" und "Paradise reloaded" zwei ziemlich verwirrende, wilde Opern – irgendwo zwischen Post- und Popmoderne.
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