Neurowissenschaften

Auch unfaire Behandlung löst Ekel aus

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Illustration: Frau hält eine Windel in der einen Hand, mit der anderen hält sie sich die Nase zu.
Vor Dingen, die schlecht riechen, ekeln wir uns. Das ist uns in die Wiege gelegt. © picture alliance / Zoonar / Elada Vasilyeva
Joachim Bauer im Gespräch mit Mandy Schielke · 10.12.2022
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Ekelgefühle sind sinnvoll. Sie schützen vor verdorbenem und giftigem Essen. Aber das Gefühl könne auch kulturell erlernt werden, sagt der Neurowissenschaftler Joachim Bauer. Das birgt die Gefahr der Manipulation.
Was schlecht aussieht, schlecht riecht, schlecht schmeckt, das stößt uns ab. Das Gefühl des Ekels ist also evolutionär entstanden. „Der Sinn ist, dass wir uns fernhalten vor verdorbenen Speisen, vor Dingen, die uns nicht guttun, die potenziell giftig sind und uns krank machen könnten“, sagt der Neurowissenschaftler und Psychotherapeut Joachim Bauer.
Dass wir Ekel empfinden, ist uns dabei in die Wiege gelegt. Schon Babys wenden den Kopf ab, wenn sie mit etwas gefüttert werden sollen, das ihnen nicht schmeckt.

Ekel kann erlernt werden

Die evolutionär-biologische Seite ist allerdings nur ein Teil des Ekelgefühls. „Ekel kann auch gelernt werden“, sagt Bauer. Der Ekel hat also eine biologische und eine soziale Seite. Sehen Kinder beispielsweise, dass andere Menschen etwas ekelig finden, würden sie sich davon anstecken lassen.
Ein Mann in Jeanshemd und grauen Haaren schaut in die Kamera: Porträt des Neurowissenschaftlers Joachim Bauer
Auch Ekel vor Menschen kann antrainiert werden, sagt der Neurowissenschaftler Joachim Bauer. Rassismus und Ausgrenzung kann die Folge sein.© fotostudio charlottenburg
Dieses Erlernen von Ekel lässt sich auch neuronal nachweisen: Wenn wir Ekel empfinden, reagieren Nervennetzwerke in der Inselregion des Gehirns: das sogenannte Ekelsystem. Das Interessante: Sehen wir jemanden dabei zu, wie er sich ekelt, dann werden die gleichen Hirnregionen aktiviert. „Das heißt, wir gehen in eine Art Spiegel- oder Resonanzreaktion. Unsere Ekelzentren erleben den Ekel des anderen mit“, sagt Bauer.

Ausgrenzung durch Ekelgefühle

Das birgt auch die Möglichkeit der Manipulation. Beispielsweise beim Rassismus, sagt Bauer. „Mitmenschen, die ausgegrenzt werden sollen, werden dargestellt, als seien sie eklig. Ich kann mit Rassismus auch andere anstecken. Das geht leider schon im Kindergarten los, dass zwei, drei aus einer Gruppe sagen: Der da, der ist eklig. Dann kann ich damit andere Kameraden und Kameradinnen anstecken. Das kann dazu führen, dass über den Ekelmechanismus Menschen ausgegrenzt werden.“
Dagegen helfe nur Aufklärung. In dem geschilderten Fall müssten Eltern oder Erzieher eingreifen.

Unfaire Behandlung als Auslöser

Auch in anderen Situationen rege sich bei Menschen Ekel, sagt Bauer. „Wir Menschen streben danach, fair behandelt zu werden. Wenn wir unfair behandelt werden, dann regt sich in unserem Kopf auch das Ekelsystem.“
Um das herauszufinden, wurden neuroökonomische Experimente mit zwei Versuchspersonen gemacht. Person A bekam einen bestimmten Betrag und durfte diesen nach eigenem Gutdünken zwischen sich und seinem Gegenüber aufteilen. Handelte A sehr unfair und behielt den Großteil des Geldes selbst ein, regte sich bei Person B das Ekelsystem im Gehirn.

Krankhafter Ekel

Bisweilen kann das Gefühl des Ekels auch krankhafte Züge annehmen. Als Psychotherapeut behandelt Bauer beispielsweise Menschen, die nie lernen durften, dass Sexualität etwas Schönes, etwas Normales ist. Sie wurden beispielsweise so erzogen, dass die Genitalorgane des Mannes oder der Frau etwas Unappetitliches seien. „Das ist natürlich bedauerlich, weil solche Menschen sich von einer großen Glücksressource des Lebens abschneiden.“
Durch eine Therapie könne sich aber ein solches Ekelgefühl auflösen. „Menschen müssen dann gegen den ihnen angelernten Ekel kleine Schritte in diese emotionale Gefahrenzone machen. Sie können dann lernen, dass dieser Ekel, der ihnen eingegeben wurde, eben nicht begründet ist, dass sie diesen aufgeben können.“
(lkn)
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