Neurowissenschaften

Wie sich Ernährung auf unser Denken auswirkt

07:04 Minuten
Illustration eines Gehirns das von Essstäbchen gehalten wird.
Wie leistungsfähig unser Gehirn ist, das hängt auch davon ab, wie viel Energie wir ihm zuführen. © imago / Ikon Images / Skopein
Von Carina Schroeder · 22.09.2022
Audio herunterladen
Obwohl es nur gut zwei Prozent unseres Körpergewichts ausmacht, verbraucht es rund 20 Prozent unserer Energie: das Gehirn. Doch was passiert, wenn dieses hungrige Organ nicht genug Futter bekommt? Lässt es sich künstlich boostern?
Essen bedeutet mehr als nur den Hunger zu stillen. Davon ist Psychologin und Neurowissenschaftlerin Soyoung Park überzeugt. “Wir tun tatsächlich etwas in unserem Körper rein, was dann Teil von unserem Körper wird und das jeden Tag und mehrmals am Tag.”
Die Professorin für Ernährungsneurowissenschaften forscht an der Charité und am Deutschen Institut für Ernährungsforschung. Unter anderem dazu, wie Nahrung auf den Körper und vor allem auf das Gehirn wirkt. Proteine beispielsweise, also Eiweiße. Die werden im Körper in Aminosäuren zerlegt, aus denen dann körpereigene Eiweiße gebildet werden. Essen wir jetzt mehr eines bestimmten Proteins, kann im Körper auch mehr von einer bestimmten Aminosäure vorliegen. Die vorher Bestandteil dieses Proteins war.
“Und das heißt, dass diese Aminosäure, ich nenne jetzt einfach mal Tyrosin zum Beispiel, bevorzugt ins Gehirn gelangen kann. Tyrosin ist Vorläufer von Dopamin und kann dann später im Gehirn in Dopamin umgewandelt werden.”
Banane mit Schokocreme
Kohlenhydrate, wie sie etwa in Schokolade und Bananen enthalten sind, können als Serotonin im Kopf ankommen – das depressiven Verstimmungen vorbeugen soll. © picture alliance / imageBROKER / Marina Horvat
Dopamin ist ein Neurotransmitter. Es hilft Nervenzellen zu kommunizieren und wirkt antriebssteigernd. Kohlenhydrate hingegen, wie sie etwa in Schokolade und Bananen vorkommen, können als Serotonin im Kopf ankommen. Das soll als „Glückshormon“ depressiven Verstimmungen vorbeugen.

Mehr Gelassenheit durch mehr Proteine?

Wie bestimmte Nahrungsmittel tatsächlich in der Praxis wirken, haben Soyoung Park und ihr Team in verschiedenen Experimenten geprüft. Sie gaben Proband*innen bestimmte Speisen, danach sollten sie Aufgaben lösen.
Ergebnis: “Wenn ich morgens früh Probanden zum Beispiel mehr Protein gebe und dann ein paar Stunden später denen eine Entscheidungssituation vorstelle, die von Dopamin abhängig ist, dann verhalten sie sich tatsächlich anders, als wenn sie mehr Kohlenhydrate gegessen hatten.“
Proband*innen, die unfaire Aufgaben bekommen hatten – in Spielen etwa weniger Geld verdienten als andere – nahmen das gelassener hin, als jene, die weniger oder keine Proteine gegessen hatten. Aber: lassen sich diese Ergebnisse nutzen? Nicht nur in Bezug auf mehr oder weniger Gelassenheit, sondern vielleicht auch, um unsere kognitiven Fähigkeiten zu steigern?
“Die gängigen Nahrungsmittel wie Kaffee zum Beispiel oder Alkohol – Alkohol ist aber auch ein Suchtmittel – die würden es tun. Aber ich glaube, Ernährung ist etwas, was länger ansetzt”, sagt Soyoung Park.

Das Gehirn - ein hochkomplexes Organ

Das Gehirn ist ein hochkomplexes Organ, es braucht die unterschiedlichsten Stoffe für unterschiedlichste Prozesse. Es über einzelne Nahrungsmittel „boostern“ zu wollen, hat daher wenig Sinn. Sagt Zahid Padamsey, Neurowissenschaftler von der University of Edinburgh.
"Wenn Neuronen arbeiten, erzeugen sie etwas, das als reaktive Sauerstoffspezies bezeichnet wird. Wie freie Radikale, die das Potenzial haben, Schaden anzurichten. Wir wissen also: Je mehr wir Neuronen zum Arbeiten zwingen, desto schlechter arbeiten sie, so ähnlich wie wir es von Maschinen kennen. Je mehr Arbeit getan werden soll, desto weniger lange halten sie das durch."
Um herauszufinden, was passiert, wenn die „Maschine Gehirn“ nicht genug Treibstoff bekommt, hat Zahid Padamsey Mäuse hungern lassen – so lange, bis sie 15 Prozent ihres Körpergewichtes verloren hatten und deutlich weniger Fett am Körper besaßen. Normalerweise wird allerdings aus dem Fett das Hormon Leptin gewonnen, das für das Gehirn wichtig ist.

Schlechteres Sehvermögen nach Hungerkuren

"Die Leptinspiegel im Blut sind äquivalent oder proportional zum Fettgehalt. Und wir wissen, dass Leptin in das Gehirn gelangt. Daher ist dies ein hervorragendes Signal ans Gehirn: Sieh her, das ist der Zustand unseres Energiespeichers! Und die Neuronen können entscheiden, wie viel Energie sie entsprechend verbrauchen."
Die Gehirne der Mäuse hatten weniger Energie zur Verfügung – Zahid Padamsey zufolge hatte das Auswirkungen auf die Aktivität der Neuronen im visuellen Cortex. "Als erstes werden weniger elektrische Impulse übertragen und zweitens haben sie weniger unterschwellige elektrische Aktivität."
Tatsächlich konnten die Mäuse im Experiment schlechter sehen. Zahid Padamsey vermutet daher, dass das Gehirn in eine Art Sparmodus geht, wenn ihm angezeigt wird, dass nicht genug Energie vorhanden ist. Ob dieser Mechanismus auch bei Menschen auftritt, ist unklar – Soyoung Park würde es nicht überraschen.

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
“Ich glaube, es ist, was wir alle kennen, wenn wir Schlafmangel haben oder sehr, sehr viel gearbeitet haben, belastet sind: Dass wir einfach manche Dinge nicht richtig wahrnehmen oder nicht mehr aufpassen oder uns konzentrieren können.”

Kognitive Erschöpfung muss kompensiert werden

Wie leistungsfähig unser Gehirn tatsächlich ist – das hängt aber nicht nur davon ab, wie viel Energie wir ihm zuführen. Das zeigt eine Studie von Antonius Wiehler und seinen Kolleg*innen vom Krankenhaus Pitié-Salpêtrière in Paris. Die Forscher*innen hatten dafür untersucht, wie gut es Probanden gelungen war, Impulse durch kognitive Kontrolle zu regulieren.  
“Man wird von einer Mücke gestochen, und es juckt. Man hat diesen Drang, sich zu kratzen. Das wäre ein ganz automatischer Reflex. Aber wir können diesen Reflex stoppen. Wir können uns im Kopf sagen: Okay, nein, ich kratze mich jetzt nicht, das ist nicht gut für meine Gesundheit.“
Je mehr so eine kognitive Kontrolle erforderlich war – etwa: weil die Aufgaben, die die Probanden zu lösen hatten, komplexer wurden – desto eher schienen sie dafür eine Kompensation zu brauchen.
“Wenn Probanden viel kognitive Kontrolle aufbringen mussten, dann veränderten sich ihre Entscheidungen über den Tag, die Probanden verlangten mehr und mehr sofortige Belohnung. Wenn sie eine einfache Version der Aufgaben machten, dann passierte nichts, veränderte sich nichts in den Entscheidungen.”
Bei denjenigen Probanden, deren kognitives Kontrollzentrum besonders stark beansprucht wurde, fanden Antonius Wiehler und sein Team in bestimmten Hirnregionen Ansammlungen des Neurotransmitters Glutamat. Infolge der Überbelastung schickte der Körper so viel des Stoffs in diese Region, dass er nicht mehr verarbeitet werden konnte.
“Wenn wir da diesen Mechanismus beeinflussen könnten, dann könnte sich die Erschöpfung verändern.”
Mehr zum Thema