Einwanderungspolitik

Die Flüchtlinge und die Brandstifter

Drei Flüchtlingskinder wurden in einer Unterkunft in Essen im Ruhrgebiet
Drei Flüchtlingskinder in einer Unterkunft in Essen im Ruhrgebiet © imago / Ralph Lueger
Von Peter Lange · 17.04.2015
Die Attacken nehmen zu - auch weil Asylsuchende in Deutschland offiziell immer noch als Menschen minderen Rechts betrachtet werden. Die offizielle Politik und die Art des öffentlichen Diskurses seien für diesen Umstand mitverantwortlich, kommentiert Peter Lange.
Es brennt verdächtig oft in den Unterkünften von Flüchtlingen in Deutschland. So oft, dass man inzwischen konstatieren muss: Wer in diesem Land Schutz sucht vor Verfolgung, Krieg und Bürgerkrieg, sollte sich in den Sammelunterkünften besser nicht allzu sicher wähnen. Natürlich, es gibt Fälle von Fahrlässigkeit, technische Defekte, ungeklärte Ursachen. Aber es gibt eben auch einen unübersehbaren und wachsenden Anteil von Brandstiftungen. Vorra, Escheburg, Tröglitz – drei Ortsnamen, die stellvertretend für zahlreiche rechtsextrem motivierte Attacken auf Flüchtlingsheime in Ost- und Westdeutschland stehen: Mehr als 160 hat das Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr registriert, fast eine Verdreifachung gegenüber 2013.
Es gibt, bei aller grundsätzlichen Offenheit und vielfach aktiv gelebten Mitmenschlichkeit in der deutschen Gesellschaft, eine zunehmend radikalisierte Minderheit, die tätlich gegen Asylsuchende vorgeht und dabei mit der nicht mehr nur klammheimlichen Zustimmung eines Teils der ortsansässigen Bevölkerung rechnen kann. Und auch wenn parteiübergreifend für Verständnis, Toleranz und Humanität gegenüber den Fremden geworben wird - die offizielle Politik und die Art des öffentlichen Diskurses sind dafür mitverantwortlich, dass es bis heute keinen selbstverständlich normalen Umgang mit Flüchtlingen gibt. Das beginnt bei der Demographie-Debatte, die ihren völkischen Bodensatz immer noch unhinterfragt mit sich herumschleppt und an ihren Rändern wahlweise das Aussterben der Deutschen oder die Überfremdung beschwört.
Daneben gibt es einen Zusammenhang zwischen der EU-Flüchtlingspolitik im Mittelmeer und der Art und Weise, wie Flüchtlinge nördlich des Mittelmeers behandelt werden. In dieser Woche sind wieder mehr als 400 Menschen ertrunken. Solange die Europäische Union nicht alles Menschenmögliche unternimmt, um Flüchtlinge zu retten – und das tut sie erkennbar nicht mehr, seit die Operation Mare Nostrum eingestellt wurde – solange lautet das Signal in die Hinterländer: Das Menschenrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gilt für Flüchtlinge nicht in gleicher Weise absolut wie für die Einheimischen.
"Flüchtlinge werden in Europa im besten Fall als behördliche Mündel behandelt"
Das setzt sich fort in den einzelnen Mitgliedsstaaten: Deutschland hat den Internationalen Pakt über wirtschaftliche und soziale Rechte ratifiziert. Der ist völkerrechtlich verbindlich und damit mehr wert als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. In diesem Pakt ist unter anderem festgeschrieben, dass jeder Mensch Anspruch auf Arbeit, Gesundheitsversorgung und Ausbildung hat – und zwar unabhängig von Herkunft und Status. Und wir fangen jetzt an zu diskutieren, ob jugendliche unbegleitete Flüchtlinge ausgebildet werden dürfen und sollen.
Und auf kommunaler Ebene: In Berlin ist diese Woche die Aufnahmestelle für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge abgebrannt – Ursache noch nicht geklärt. Aber nebenbei stellt sich heraus, dass im gleichen Haus nebenan auch Obdachlose und Alkoholkranke lebten. Man kann sozialen Stress auch erzeugen und zugleich zwei Randgruppen zur Zielscheibe machen.
Einzelne Versicherungen – auch eine Nachricht aus dieser Woche – haben die Prämien für die Betreiber von Flüchtlingswohnheimen drastisch erhöht. In einem Fall soll sich ein Versicherer sogar zunächst geweigert haben, den Versicherungsschutz zu übernehmen. Auch so ein unbedachtes, verheerendes Signal, das den Brandstiftern einen Hebel in die Hand gibt: Mit jeder Attacke wird die Unterbringung von Schutzsuchenden teurer – und irgendwann unmöglich.
So kommt eines zum anderen. Flüchtlinge werden in Europa im besten Fall als behördliche Mündel behandelt, ansonsten immer noch als Menschen minderen Rechts. In einem seiner letzten Interviews hat Günter Grass daran erinnert, dass vor 70 Jahren die deutsche Gesellschaft zu einem Großteil aus Flüchtlingen bestand, die es zu integrieren galt. Es täte allen in diesem Land gut, sich in diesem Erinnerungsjahr auch mit diesem Teil des Kriegsendes zu befassen.
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