Eine Kampfschrift mit vielen Anregungen

15.09.2011
Bürgerbeteiligung, Umweltschutz und Investition in Bildung sowie erneuerbare Energien, lange haben solche Themen in der Politik Italiens keine Rolle gespielt. Nichi Vendola will das ändern. In seinem neuen Buch skizziert der italienische Politiker eine Politik für das Italien nach Berlusconi.
"Es gibt ein besseres Italien" – mit diesem Slogan wendet sich der Präsident der Region Apulien und einer der Hoffnungsträger der italienischen Politik Nichi Vendola an seine Anhänger. Es handelt sich um einen indirekten Appell, der ein bisschen an Obamas "Yes-we-can"-Formel erinnert.

"Es gibt ein besseres Italien" ist nicht nur das Motto von Vendolas Website, sondern auch der Titel seines gerade auf Deutsch erschienenen "Manifests für eine neue Politik". Vendolas eigene Aufstiegsgeschichte scheint ein Beweis für seine Behauptung zu sein. Im vergangenen Jahr wurde er mit großer Mehrheit zum zweiten Mal im Amt bestätigt, obwohl er als bekennender Schwuler, überzeugter Katholik und Begründer einer neuen linken Partei durchaus polarisiert. Aber er ist glaubwürdig, verbindet pragmatisches Geschick mit einem theoretischen Fundament und operiert gleichzeitig mit hochmodernen Mitteln, wie Internet und Aktionsplattformen.

In kurzen Kapiteln legt er die Probleme Italiens dar und skizziert Auswege. Die Lage könnte dramatischer kaum sein. Die Gesellschaft driftet mehr und mehr auseinander, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 26 Prozent, der funktionale Analphabetismus bei 70 Prozent, die Hälfte des gesellschaftlichen Reichtums entfällt auf lediglich zehn Prozent der Bevölkerung. Unter Berlusconi sind die Wohlhabenden noch reicher geworden, während die Mittelschicht schrumpft und große Teile des Landes verarmen. Der Fiat-Chef verdiente in den 50er-Jahren das Zwanzigfache eines Arbeiters. Sergio Marchionne bekommt heute 435 Mal so viel.

Die neoliberale Gesetzgebung hat die Finanzwirtschaft bevorzugt. Soziale Sicherungssysteme und Bildung wurden beschnitten. Es gibt keine Einwanderungspolitik. Vendola weist darauf hin, dass sich die Angehörigen des Prekariats, im Unterschied zur Arbeiterklasse, gar nicht mehr als politische Subjekte begreifen. Der apulische Präsident fordert eine strikte Regulierung der Finanzwirtschaft, massive Investitionen in Bildung, neue partizipative Strukturen im Bereich der Stadtplanung und des Quartiermanagements, und vor allem eine umfassende Steuerreform mit höheren Abgaben auf Vermögen und Besitz. Er prangert Steuerhinterziehung an, die das Land 130 Milliarden Euro im Jahr kostet. Auch Ressourcenschonung und eine nachhaltige, ökologische Ökonomie stehen auf Vendolas Agenda.

Der apulische Präsident spricht klare Worte, und das ist bereits ein großes Verdienst. Manche seiner Vorschläge bleiben diffus: Wie sollte zum Beispiel ein "Bündnisvertrag zwischen Staat und Markt", von dem die Rede ist, aussehen? Mitunter ist er eine Spur zu populistisch und pathosgeladen. Aber er benennt offen den Mangel an Demokratie in vielen Regionen. Wie die letzten Monate gezeigt haben, könnten die jungen Italiener eine treibende Kraft sein, und möglicherweise erreicht jemand wie Vendola sie eher. Sein Manifest ist eine sanfte Kampfschrift mit vielen Anregungen.

Besprochen von Maike Albath

Nichi Vendola: "Es gibt ein besseres Italien. Manifest für eine neue Politik"
Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann und Petra Kaiser
Verlag Antje Kunstmann, München 2011
173 Seiten, 16,90 Euro
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