Spektakel in Endlosschleife

16.05.2011
In einer Porträtserie liefert "Zeit"-Korrespondentin Birgit Schönau Einblicke in die unterschiedlichsten Milieus Italiens. Dabei ist sie eine kritische Beobachterin und begegnet ihren Gesprächspartnern mit distanzierter Sympathie.
Wer sich heute näher mit Italien befasst, fühlt sich mitunter an Fellini-Filme erinnert: zum Beispiel an die Bälle in "Casanova", auf denen bizarre Freaks ihrer Laster frönen. Ein Spektakel in der Endlosschleife, eine Show in grellen Farben mit immer grelleren Akteuren. Auf diesen Eindruck spielt der Titel von Birgit Schönaus Porträtserie "Circus Italia" an, die jetzt zum 150. Jahrestag der italienischen Einigung erscheint. Schönau, die Korrespondentin der Wochenzeitung "Die Zeit", 1966 in Westfalen geboren, lebt seit Anfang der neunziger Jahre in Rom und erforscht in kurzweiligen Reportagen den Zustand ihres Gastlandes.

Dabei liefert sie einen Einblick in die unterschiedlichsten Milieus. Sie besucht das wirtschaftlich potente Venetien, wo Bürgermeister rassistische Parolen ausgeben und gleichzeitig traditionsreiche Firmen angesiedelt sind, die auf internationalem Parkett agieren und Weltläufigkeit kultivieren. In Mailand ist sie bei der einflussreichen und schwerreichen Familie Moratti zu Gast: Der Erdölmagnat Gian Marco Moratti, mit seinen Geschwistern Besitzer der größten Raffinerie im Mittelmeerraum und Ehemann der Bürgermeisterin Letizia Moratti, die im Windschatten von Berlusconi Karriere machte, nimmt sie in Empfang.

Die Familie, zu der auch der politisch eher links orientierte Inter-Mailand-Präsident Massimo Moratti gehört, betreibt außerdem auf Sardinien einen Windpark, ist karitativ engagiert und unterstützt Einrichtungen für Drogensüchtige. Jenseits aller politischen Meinungsverschiedenheiten sei man doch ein Clan, erklärt Gian Marco Moratti der deutschen Besucherin. Und mehr als einmal befällt den Leser der Eindruck, Italien sei ein spätfeudalistisches Land.

Eine andere Reise führt Birgit Schönau nach Florenz zum Luxusmodenhersteller Diego della Valle, der ein erklärter Berlusconi-Gegner ist. Auch die dunkelsten Seiten Italiens nimmt die Journalistin in den Blick, fährt ins Erdbebengebiet von L’Acquila, erkundet das mafiaverseuchte Kalabrien und reist nach Florenz, wo sie den mythischen Gigi Riva trifft, der als bester Torjäger der Nationalmannschaft in die Geschichte einging und dem alten italienischen Fußball nachtrauert: Heute sei das Spiel ein Narkosemittel, das die tatsächlichen Probleme des Landes überdecke.

Gigi Rivas Worte stimmen den Leser wehmütig; bei Leuten wie Giuliano Ferrara packt einen die Wut. Mit seinem Zynismus hat der hochintelligente Journalist, Chefredakteur der Tageszeitung "Il Foglio", die Voraussetzungen für den Niedergang geschaffen. Hingegen steht Nichi Vendola, Präsident der Region Apulien und ein Hoffnungsträger der jüngeren Generation, für ein neues Italien, das es, zumindest in manchen Winkeln des Landes, auch zu geben scheint.

Birgit Schönau begegnet ihren Gesprächspartnern mit distanzierter Sympathie und ist eine kritische Beobachterin. In Anknüpfung an Umberto Eco spricht sie von postdemokratischen Verhältnissen. Viel zu selten begriffen sich die Italiener als Subjekt der Geschichte, die ihre Geschicke selbst in der Hand hielten. Trotz aller Skepsis spürt man immer wieder ihre große Zuneigung zu Italien – und sie führt anschaulich vor, dass die Wirklichkeit mehr Seiten hat als nur eine. Vielleicht, so hofft man nach der Lektüre des Buches, wird es im "Circus Italia" so sein, wie im echten Zirkus: Irgendwann tritt der Clown ab, und dann ist die Vorstellung endlich vorbei.

Besprochen von Maike Albath

Birgit Schönau: Circus Italia. Aus dem Inneren der Unterhaltungsindustrie
Berlin Verlag, Berlin 2011
221 Seiten, 18,90 Euro