Ein Finanzberater in der Krise

"Bin ich Banker oder Bankster?"

Banker Dirk Kannacher vor grünem Hintergrund mit Pflanzen.
Banker Dirk Kannacher: "Die Gewinne standen in vielen Gesprächen sehr weit im Vordergrund." © Stephan Beuting
Von Stephan Beuting · 06.09.2018
Dirk Kannacher war stolz, ein Banker zu sein. Dass hohe Renditen oberstes Ziel seines Arbeitgebers waren, stellte er nicht infrage. Bis 2008 die Finanzkrise kam. Heute hat er sein Leben nach neuen moralischen Vorstellungen ausgerichtet.
"Meine Mutter hat damals zu mir gesagt, Mensch, Kind, werde doch Banker, dann hast du was fürs Leben. Und das hat bis 2008 so funktioniert. Ich war stolz, ein Banker zu sein, und man wurde ja auch wirklich geschätzt dafür, wenn man in einer Bank gearbeitet hat und eben Banker gewesen ist, bis 2008."
Der gut sitzende Anzug, dass er schlank und trainiert ist, die aufrechte Körperhaltung, das gehört alles zum ersten Eindruck, wenn man Dirk Kannacher sieht, aber vor allem, diese vielen kleinen und großen Lachfältchen, rund um seine Augen.
"Ja, die Anleger haben ja über vier, fünf Jahre immer wieder schöne Renditen erzielt."
Kannachers Lächeln, es passte sehr gut in die Zeit vor der Finanzkrise, als die Gewinne sprudelten, als Banker ein angesehener Beruf war, als es eigentlich nur darum ging, noch etwas mehr zu verdienen.
"Und dann haben sie natürlich danach gefragt, auch die Kunden, was ist denn der nächste Schritt jetzt, wenn ich im letzten Jahr fünf Prozent gemacht habe, gibt es denn jetzt nicht auch etwas, wo ich sieben Prozent verdienen kann?"
Es ist die Zeit, in der Kunden und Banken scheinbar unbegrenzt verdienen.
"Die Gewinne standen in vielen Gesprächen sehr weit im Vordergrund."

Belohnung für viele Abschlüsse: eine Reise nach Mallorca

Dirk Kannacher arbeitet damals bei der Commerzbank, leitet eine Vertriebsabteilung. Um die Mitarbeiter zu motivieren, veranstaltet die Commerzbank damals einen Wettbewerb: Bring dein Team ins erste Drittel.
"Und dieser Vertriebswettbewerb hatte eben die Aufgabe, mit seinem Team von den 100 vorhandenen Teams eines der ersten 30 Teams zu werden."

Diejenigen, die es schaffen, viele Finanzprodukte zu verkaufen, bekommen als Belohnung eine Woche Mallorca. Und Kannacher motiviert sein Team an einem Montagmorgen auf seine ganz eigene Art.
"Hab dann halt Badeschlappen angezogen, habe eine kurze Hose angezogen, ein T-Shirt angezogen und mein Badehandtuch mitgebracht und hab gesagt, dass ich bereit wäre und ich würde auch schon mal mit dem Kofferpacken anfangen. Das hat natürlich für einen Lacher gesorgt."
Die gute Nachricht, Kannachers Team schafft es noch ins erste Drittel, darf nach Mallorca fliegen. Die schlechte: Viele seiner Kunden erleiden wenig später eine finanzielle Bruchlandung. Zuerst crasht eine Bank namens Lehman Brothers, dann das Finanzsystem weltweit.
"Breaking News, Stocks all around the World are tanking."
"It is gonna be one of the watershed-days in financial markets history."
"Two of the biggest firms on wallstreet are no more, they are kaputt this morning."
"Wir sehen hier ein Schlachtfest rund um den Globus, anders kann man es nicht mehr bezeichnen."
"Das ging von jungen Familien, die Geld angelegt hatten, um die Ausbildung ihrer Kinder zu bezahlen, bis hin zu älteren Menschen, die gesagt haben, ich habe mein Leben lang gearbeitet, ich habe mir etwas erspart, die dann Verluste von 20, 30, 40 Prozent in ihren Depots erleben mussten."

Kleinanleger bleiben auf der Strecke

Die Bundesregierung schnürt in dieser Zeit das Rettungspaket für Banken, legt Konjunkturprogramme auf. Doch die Privat- und Kleinanleger sind auf sich gestellt.
"Das war sehr, sehr schwer diese Gespräche zu führen, diese Gespräche sind geführt worden von weinenden Menschen bis hin zu Menschen, die einfach sehr laut geworden sind und gesagt haben, das wollte ich doch alles gar nicht. Emotional hat mich das sehr belastet, dieses Thema."
Banker heißen auf einmal Bankster. Aber Kannacher will kein Bankster sein. Er nimmt sich eine Auszeit, geht wandern am Rothaarsteig. Er will nicht mehr nur ausführen sondern verändern. Er bewirbt sich auf die Gruppenleitung Vertriebstraining.
"Dieses Thema, bewusster Umgang, was machen wir gerade mit unseren Kundinnen und Kunden, was erleben unsere Kundinnen und Kunden, was sind die Fragen, die die auch haben, stärker zu fokussieren und darüber ins Gespräch zu kommen. Das war meine Hoffnung, dass ich, wenn ich diese Aufgabe übernehme, dass wir eine Veränderung innerhalb dieses Unternehmens herbeiführen können."

Sinn statt Gewinn

Doch Kannachers Hoffnung erfüllt sich nicht, das Vertriebsziel der Commerzbank bleibt Gewinn, die Veränderungen bis 2010, kaum spürbar. Das Gefühl ist da, dass sich etwas grundlegender verändern muss. Aber in welche Richtung? Der Hinweis kommt ausgerechnet im Familienurlaub, auf einem Bio-Bauernhof bei Freudenstadt.

"Als er gesagt hat, ich bin hier der Landwirt auf dem Hof, da habe ich gesagt, ich weiß gar nicht, wie ich mich vorstellen soll, ob ich jetzt der Banker oder Bankster bin. Dann hat er halt gelacht und gesagt, das ist aber eine coole Frage, die du dir da stellst, und im Laufe des Gesprächs sind wir dann darauf gekommen, dass er zu mir gesagt hat, kennst du die GLS-Bank?"
Nein, die kannte Kannacher bis dahin nicht. Heute ist die GLS-Bank Kannachers Arbeitgeber. Während viele Banken gute Quartalszahlen und den Shareholder-Value im Auge haben, ist diese Bank genossenschaftlich organisiert. Es gibt dort keine erfolgsabhängige Bezahlung und keine Boni. Rendite ist auch wichtig, aber nur nach ökologisch-nachhaltigen Prinzipien . Daher unterstützt sie eben auch etwa Bio-Bauern aus Freudenstadt.
Das Motto der Bank: Sinn statt Gewinn. Wenn Kannacher über die GLS-Bank spricht, kommen sie noch ein wenig stärker zum Vorschein, diese vielen kleinen Lachfältchen.
"Banken müssen wieder mehr zu Ermöglichern werden."

Dirk Kannacher ist auch ein Protagonist in einem Film von Stephan Beuting und Jean-Christoph Caron: Der Jahrhundert-Crash - Wie sicher ist unser Geld?

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