Édouard Louis: "Monique bricht aus"
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Familiäre Gewalt als Romanvorlage
06:11 Minuten

Édouard Louis
Aus dem Französischen von Sonja Finck
Monique bricht ausS. Fischer, Frankfurt 2025160 Seiten
22,00 Euro
Édouard Louis schreibt über häusliche Gewalt und wie schwer es für eine Frau ist dieser zu entkommen, wenn sie wirtschaftlich vom Partner abhängig ist. Dabei verarbeitet er in seinem Roman das Schicksal seiner Mutter - zum zweiten Mal.
Aus der Ferne einer Athener Schreibresidenz nimmt sich Édouard Louis seiner Mutter an und erzählt von dem titelgebenden Ausbruch seiner Mutter aus einem von gewalttätigen Männern geprägten Leben. Fans von Louis mögen sich erinnern, dass er vor vier Jahren schon einmal von einer Flucht seiner Mutter erzählt hat – vor seinem eigenen Vater. Nun ist die geschiedene Monique erneut in die Fänge eines Alkoholikers geraten.
Gefangen in patriarchalen Abhängigkeiten
Selbstgewähltes Schicksal, könnte man an dieser Stelle einwerfen. Doch Louis weist in seiner herrlich unversöhnlichen Art und Weise auf die strukturellen Hindernisse in einer patriarchalen Gesellschaft hin. Die Bindung an den Partner aus Angst vor Altersarmut ist für viele Frauen eben keine freie Entscheidung. So auch für Monique nicht, die durch Kindererziehung und Care-Arbeit zwar immer viel gearbeitet hat, jedoch ohne abgeschlossene Ausbildung oder Rentenansprüche wirtschaftlich auch von ihrem neuen Partner abhängig bleibt.
Zugleich macht Louis die emotionale Gewalt spürbar, er zeigt auf, wie ökonomische und emotionale Beweggründe untrennbar miteinander verquickt sind und Monique die endgültige Trennung schwer machen. Der Leser fürchtet bis zum Ende des Romans permanent, sie könnte doch noch zurückkehren.
Von Armut und Gewalt geprägte Familie wird Romanstoff
Dabei begegnen wir einem selbstreflektierten Autor, der sich der Verletzungen bewusst ist, die die Veröffentlichungen seiner früheren Werke in seiner Familie hinterlassen haben. Intimste Details aus einer von Armut und Gewalt geprägten Familie in einer nordfranzösischen Kleinstadt hatte er dort mit der Öffentlichkeit geteilt. Auch wenn er das in seinem aktuellen Roman explizit verneint, entsteht der Eindruck, dass er mit der Hilfe für seine Mutter Wiedergutmachung leisten möchte.
Er organisiert ihr eine neue Wohnung, bestellt Essen mit Lieferdiensten und wird so zu ihrem Fluchthelfer für ein Leben in Freiheit. Absurderweise sind es gerade die Einnahmen aus den verletzenden Romanen, die ihm erlauben, finanziell für seine Mutter zu sorgen.
Freiheit der Mutter als Familienprojekt
Die Freiheit der Mutter wird schließlich zum einigenden Familienprojekt: In der Notsituation nähert sich Louis auch seiner Schwester wieder an. Retrospektiv bedauert Louis die Entfremdung, die nicht nur durch die Veröffentlichung der Romane entstanden ist, sondern schon zuvor durch seinen sozialen Aufstieg geschah.
Er bezeichnet diese gegenseitige Entfremdung als Ergebnis sozialer Gewalt, die es ihm beispielsweise als Abiturient aus Scham unmöglich machte, weiterhin lauthals mit seiner Schwester im Auto Schlager zu singen. Dass sozialer Status eben nicht nur durch das Geld auf dem Konto spürbar wird, sondern sich durch Geschmack manifestiert, möchte er hier zeigen. Leider sind seine Beispiele so ungenau und schlecht gewählt, dass man ob des soziologisch hohen Niveaus der Vorgängerromane ein wenig enttäuscht ist. Denn Scham vor Eltern oder gewandelte Interessen in der Pubertät hat über alle sozialen Klassen hinweg schon jeder einmal erlebt.
Dennoch wird man von der kargen und reduzierten Sprache, die Spiegel der prekären sozialen Verhältnisse ist, wieder einmal gepackt. Louis beherrscht Rhythmus und Spannung und probiert sich sogar an etwas für ihn Ungewohntem: Einem Happy End.