E-Books, Apps und E-Reader

Wie sich unser Lesen verändert

Leser mit E-Book-Reader im Park
Nicht ohne mein E-Book! Auch im Park wird vermehrt digital gelesen. © picture alliance / Wolfram Steinberg
Von Philip Banse · 02.06.2016
Wir lesen zunehmend digital: Nicht nur im Netz, sondern auch per E-Book-Reader oder Smartphone. Das verändert nicht nur unsere Lesebedürfnisse, sondern auch unsere Erwartungen, auf die sich die Verlage einstellen müssen.
Mit E-Books und E-Readern hat das digitale Lesen begonnen, RSS-Feeds sind in den Hintergrund gedrängt worden. Das "informierende Lesen", als das Lesen um der Aufnahme von Information willen, wird dominiert von Apps und Diensten, die versprechen, die Interessen der Leser zu erlernen und basierend auf deren Gewohnheiten neue Texte zu liefern.
Diese Dienste sind sehr leicht zu bedienen und kommen oftmals in sehr schlichtem Gewand daher. Beliebt ist das auch das Später-Lesen: Texte, die der Nachrichtenstrom in Apps, Feeds oder Timelines vorbeispült, werden bei Diensten wie Pocket für später gespeichert und dann gemütlich auf dem Sofa weggelesen.

Interaktive Formate fristen Nischendasein

Daneben gibt es das "genießende" Lesen, also das Lesen, bei dem Genuss und Zerstreuung im Vordergrund stehen. Es hat sich im digitalen Mainstream nicht fundamental gewandelt. Dominiert wird es vom linearen Konsum – sei es auf Kindle, Kobo, Tolino, Kindle App, Apple iBook oder PDF-Readern. So lesen Menschen, denen an Schriftbild und Satz gelegen ist. Es stehen eine Reihe von Lesegeräten zur Verfügung, die je nach Geschmack und Bedürfnis eingesetzt werden: Strand (Kindle), Sofa (Kindle, App auf Smartphone oder Tablet) oder der Browser (auf Rechner im Büro)
Interaktive Formate wie die "Enhanced eBooks" von Apple oder Google, die Texte durch Filme, Bilder und Töne erweitern, sind über eine Nischen-Existenz bisher nicht hinaus gekommen. Das liegt zum einen daran, dass sie an bestimmte Hardware gebunden sind, wie Apples iBooks ans iPad.

Multimedia verlangt viel Aktivität

Wichtiger scheint aber: Der Konsum von Geschichten ist ein passiver Akt. Sei es Film, Audio oder Text – wir geben uns dem Geschichtenerzähler hin, wollen uns ihm ausliefern. Multimedia-Geschichten verlangen jedoch Aktivität, aktive Entscheidungen, weil sie viele Optionen bieten. Das ist ein völlig anderes Paradigma, das mit dem traditionellen Lesen linearer Texte nicht mehr viel zu tun hat und viele Leser bisher nicht überzeugen konnte.
Welche verschiedenen Apps und Formate sind entstanden und wie unterscheiden sie sich vom klassischen E-Book?
Die meisten Experimente, die eine neue Leseerfahrung versprechen, setzen aktive Leser voraus, die Entscheidungen treffen wollen, die kommentieren und mitbestimmen wollen.
Besonders ambitioniert ist Sobooks, ein Verlag, dessen Bücher ausschließlich im Browser gelesen werden können – und damit auf allen Geräten zur Verfügung stehen, die einen aktuellen Browser haben. Sobooks hat sich dem sozialen Lesen verschrieben: Leser können sehr leicht einzelne Sätze kommentieren und diese auch mit Menschen teilen, die keinen Sobooks-Account haben.
Dazu gibt es diverse Versuche, den reinen Text mit Bildern, Musik und Videos anzureichern und neue Erzählformen zu finden. Der größten Popularität erfreuen sich diese Konzepte noch bei Kinderbüchern. In der übrigen Literatur kommen solche Ideen sei Jahren nicht über eine Nischenfunktion hinaus.

Am Ende ist es doch wieder linear

Vereinzelt versuchen Verlage, Klassiker als Apps zu vermarkten (In "Dark London” erwacht Charles Dickens zum Leben, in "Mirror World” die Reise von Alice im Wunderland.) Der Leser klickt und wischt sich durch die Apps und liest am Ende doch linearen Text.
Googles Editions at Play bietet Texte an, die visuell und akustisch aufgemotzt sind, am Ende jedoch immer auf ein lineares Lesen hinauslaufen. Viele dieser Bücher verlangen aber, dass Nutzer sich bei Google anmelden, um an Lesedaten und Email zu kommen.
Apples iBooks versuchen mit Animationen, Videos und Audio seit Jahren vor allem in die Schulen vorzudringen, was ihnen aber wegen der Bindung an iPads kaum gelingt.
Apps wie "Hooked" versuchen, den Mediengewohnheiten Jugendlicher entgegen zu kommen: Kurzgeschichten werden in Form eines Text-Chats erzählt: Jeder Tap auf "weiter" bringt das nächste Zitat eines Text-Dialogs zum Vorschein. Das ist völlig sinnlos, weil der lineare Text vorher feststeht und durchs Tappen nur Satzweise abgerufen wird. Lustiger könnte es werden, wenn die Chatbots von Google, Facebook und Amazon demnächst solche Kurzgeschichten schreiben und individuell auf Nutzereingaben reagieren können.
Auf welche neuen Bedürfnisse der Leser gehen diese Angebote ein?
Schwer zu sagen. Denn Verlage und Entwickler versuchen seit 20 Jahren ein Leseerlebnis jenseits des linearen Texts zu erfinden – bisher ohne dauerhaften und breiten Erfolg. Innovation gab es im Bereich der Lese-Geräte und der Art, wie lineare Texte rezipiert werden (Kindle, Apps, Smartphones, Tablet, Browser). Aber das Lesen an sich hat sich kaum geändert.

Links lenken ab

Selbst bei den informativen Texten erleben wir sogar gerade Rückbesinnung auf den Plain-Text: Viele Publikationen verzichten darauf, einzelne Passagen im Fließtext mit Hyperlinks zu versehen, sondern listen die Links am Ende des Textes wie klassische Fußnoten auf. So sollen die Leser in Ruhe den Text genießen können, ohne vom appellativen Charakter der ganzen Links ("Klick mich! Sonst verpasst Du was!") in ihrem linearen Lesefluss gestört zu werden.
Inwiefern verändert sich durch die digitalen Möglichkeiten das Schreiben selbst?
Ich denke, der Druck auf Autoren wächst, ihre Texte besser vermarktbar zu machen – gerade bei unbekannten Autoren. E-Books, Apps und Browser tracken genau, wer was wie lange liest und wo Leser aussteigen. Die Gründerin der Kurzgeschichten-App "Hooked", Prerna Gupta, sagt mit Blick auf den Anteil der Leser, die bis zum Schluss lesen: "Wir suchen nach Quoten von 65 Prozent oder höher." Eine Sci-Fi-Geschichte zum Beispiel kam nur auf eine Durchlese-Rate von 45 Prozent: "Ich sah, dass die Drop-Off-Rate im ersten Drittel der Geschichte am höchsten war. Also bin ich das mit dem Autor nochmal durchgegangen. Beim nächsten Test hatten wir dann 75 Prozent."

Umsetzen, was Quote bringt

Einen bisher unterschätzen Einfluss auf Autoren dürften die Leseproben der Online-Buchhändler haben. Diese Text-Ausschnitte haben großen Einfluss auf die Kaufentscheidung. Der Druck, die ersten zehn Seiten eines Buches möglichst attraktiv zu gestalten, wächst. Hier wird ähnliches passieren wie bei den informativen Texten: Einige Massen-Verlage werden datengetriebene Geschichten/Literatur machen, die umsetzen, was Quote bringt. Andere Qualitäts-Publisher werden mehr ihren Autoren und deren Geschichten vertrauen und eine zahlungskräftige Kenner-Kundschaft finden müssen.
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