Kulturelle Aneignung

Dürfen Weiße Dreadlocks tragen?

17:24 Minuten
Foto eines weißen Mannes mit Dreadlocks. Er trägt sie als Dutt auf dem Kopf. Das Foto ist schwarzweiß und unter seinen Augen abgeschnitten.
Verfilzte Haare sind politisch: Die Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future möchten nicht, dass weiße Menschen mit Dreadlocks auf ihren Demonstrationen auftreten. © Unsplash / Karsten Winegeart
Moderation: Timo Grampes · 24.03.2022
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Fridays for Future hat die Musikerin Ronja Maltzahn von einer Demo ausgeladen, weil sie als weiße Person Dreadlocks trägt. Doch ob es sich dabei um kulturelle Aneignung handelt, wie die Aktivistinnen und Aktivisten kritisieren, ist gar nicht so klar.
Eigentlich sollte die Musikerin Ronja Maltzahn am Freitag beim Klimastreik von Fridays for Future in Hannover auftreten. Doch die Ortsgruppe der Klimaschutzbewegung hat den Auftritt wegen der Frisur der Künstlerin abgesagt.
Es ist für die Aktivistinnen und Aktivisten nicht vertretbar, "eine weiße Person mit Dreadlocks auf der Bühne zu haben", so heißt es in einer Nachricht der Ortsgruppe, die Maltzahn öffentlich machte. Denn Dreadlocks bei weißen Menschen seien "eine Form der kulturellen Aneignung".

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Die Absage war verbunden mit dem Angebot, dass Maltzahn auf der Demonstration auftreten könne, sollte sie sich bis Freitag dazu entscheiden, die Dreadlocks abzuschneiden.
Für diesen Teil der Nachricht entschuldigten sich die Klimaschützer anschließend in einem Statement: Da Frauen häufig aufgrund ihres Aussehens zurechtgewiesen würden, sei dies unsensibel und grenzüberschreitend formuliert gewesen.

Verfilzte Haare oder Dreadlocks?

Die Argumentation von Fridays for Future in dem Statement sei teilweise falsch, erklärt Maimouna Jah. Dreadlocks hätten nichts mit aus Indien verschleppten Menschen zu tun, sagt die Journalistin, Afrikanistin und Ethnologin, die selbst anderen Menschen Dreadlocks macht. "Wenn es sich um Dreadlocks handelt, dann bezieht sich die Bezeichnung auf die Frisur, die Rastafari in Jamaika tragen."
Auch weiße Menschen dürfen sich die Haare verfilzen lassen, findet Jah. "Aber wenn sie die Frisur Dreadlocks nennen, dann müssen sie sich auch auf den Kampf, den diese Bewegung getragen hat, beziehen – oder zumindest Stellung dazu beziehen." Wie Ronja Maltzahn selbst ihre Frisur nennt, habe sie allerdings nicht mitbekommen.
Auch ob es sich um kulturelle Aneignung handelt, ist für Jah nicht eindeutig. Sie empfindet es aber als falsch, automatisch von kultureller Aneignung zu sprechen, sobald eine weiße Person wie Maltzahn verfilzte Haare trägt.
Nach Ansicht von Jah muss man ohnehin eher darauf schauen, warum die Organisatoren nicht schon vor der Einladung mit der Künstlerin darüber diskutiert hätten. Allerdings sei die Klimabewegung eine Bewegung, die auch von sehr jungen Menschen mitgetragen werde. Natürlich gebe es dort Bildungslücken. Aber das sei keine Einladung, Fridays for Future "zu bashen", wie dies nun von rechts geschehe.

Wer spricht in wessen Namen?

Auch der Sozialwissenschaftler Lars Distelhorst hält es für unklar, ob es sich bei der Frisur von  Maltzahn überhaupt um kulturelle Aneignung handelt.
Laut einer weitverbreiteten Definition liege diese dann vor, wenn sich Kultur A von Kultur B etwas nehme, gleichzeitig Kultur A der Kultur B in ihrem Machtpotenzial stark überlegen sei, es also eine koloniale oder Ausbeutungsgeschichte gebe, und zudem Kultur B klar gesagt habe, die Übernahme durch Kultur A nicht zu wollen.
Deshalb wäre in diesem Fall erst einmal zu klären, ob Schwarze Menschen, die bei Fridays for Future aktiv sind, den Vorwurf der kulturellen Aneignung geäußert haben, oder ob er von weißen Menschen stammt, die einem solchen Statement vorgegriffen hätten. Und falls Letzteres der Fall sei, dann stelle sich bei einem "so kategorisch formulierten Statement" durch weiße Menschen die Frage: "Wer hat dieses Sprechen legitimiert?" 
Distelhorst betont, dass die Positionen Schwarzer Menschen zu Dreadlocks sehr verschieden seien. Diese Komplexität lasse man verschwinden, wenn man einfach für andere Menschen spreche, die man im Zweifelsfall gar nicht gefragt habe.

Angst vor sich ändernden Machtverhältnissen

Dass nun die mediale Debatte über die Ausladung der Musikerin durch Fridays for Future explodiert, erklärt sich der Sozialwissenschaftler damit, dass viele Menschen Angst davor hätten, dass sich derzeit gesellschaftliche Machtverhältnisse ändern:
Eine junge Generation gehe massenhaft auf die Straße, um gegen die ökologische Krise zu demonstrieren. Es werde daher versucht, Fridays for Future vorzuführen, die Bewegung werde als etwas "völlig Unmögliches" dargestellt. 
Dass angesichts des Kriegs in der Ukraine nun so stark ausgerechnet über dieses Thema diskutiert wird, sagt für Distelhorst also etwas über gesellschaftliche Ängste aus: "Die Angst davor, dass sich diese Machtverhältnisse ändern könnten, die wir in der Gesellschaft haben, ist in etwa genauso groß wie die Angst, die die Leute vor Krieg haben."
(jfr)
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