Doris Anselm: "Hautfreundin"

Anständig unanständig

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Im Vordergrund: Das Cover des Buches. Im Hintergrund: Zebrastreifen aus Licht über dem Körper einer Frau.
Literatur statt Porno: Doris Anselms Protagonistin hat innigen Sex mit fremden Männern, frei von Machtverhältnissen. © Luchterhand Literaturverlag / imago images / Panthermedia
Von Mechthild Lanfermann · 28.05.2019
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Immer mehr Autorinnen suchen ihre eigene Sprache über Sexualität, fernab vom männlichen Blick. In ihrem erotischen Roman erzählt Doris Anselm freizügig vom Sexleben einer Frau, ohne pornografische Klischees zu bedienen.
"Kennengelernt hatte ich ihn auf dem Weg zur eisernen Hochzeit meiner Großeltern. Sehr unpassend. Gerade das war das Schöne." Die Hautfreundin, Protagonistin in Doris Anselms neuen Roman, geht auf die Männer zu, die ihr gefallen. Auf dem Bahnhof, im Zugabteil, im Café oder auf der Straße. Wenn es gut läuft, haben sie Sex miteinander. Doris Anselm beschreibt das humorvoll und eindeutig.
"Ich rutsche über den Stuhl und spüre die Nässe unter meinem Bein. »Hier«, sage ich stolz, hebe und öffne die Knie. Ich präsentiere mich so schamlos, wie ich es nicht könnte, wenn ich ihn dabei ansehen müsste."
Über Sex zu schreiben, sei schwierig, sagt die Autorin. Weil die Perspektive jahrhundertelang eine männliche war und Frauen in erotischen Geschichten redeten und fühlten, wie Männer sich das vorstellten. Eine Frau, die über Sex schreibt, muss eigene Bilder finden, wenn sie den Klischees ausweichen will.
"Das ist der klassische pornografische Blick, der männliche Blick. Ich will von innen heraus schreiben, wie sich das anfühlt – das, was Literatur kann, was Porno nicht kann."

Zurückschlagen im Kampf der Geschlechter

In selbst-referenziellen Romanen und Essays bemühen sich Schriftstellerinnen neuerdings, eine eigene Sprache für die Sexualität zu finden. Bei Catherine Breillat oder Virginie Despentes klingt das wie eine Antwort auf die #MeToo-Debatte: Eine Umkehrung der Machtverhältnisse, ein Zurückschlagen der Frauen im Kampf der Geschlechter.
Auch in dem Roman "M" von Anna Gien und Marlene Stark benutzt die Protagonistin nun ihrerseits die Männer, erniedrigt und verletzt sie beim Sex. Für die Journalistin Carolin Rosales ist solche umgekehrte Pornografie erneut ein Bedienen von Männerphantasien. In ihrem Essay "Sexuell verfügbar" beschreibt sie, dass die gewalttätige Frau beim "Sportficken" wieder nur gefallen will.
Doris Anselm geht mit ihrem Buch einen anderen Weg. "Über Sex schreiben ist extrem wichtig. Da muss auch viel Traumatisches verarbeitet werden, aber die Idioten bekommen so viel Aufmerksamkeit. Ich habe Erfahrung mit guten Männern, ich möchte davon erzählen."

Ebenbürtiger Sex, der beiden gefällt

Die Hautfreundin und ihre Männer sind sich ebenbürtig. Fernab von Besitzansprüchen und Machtdenken kommt es zum Sex, der beiden gefällt.
"Zwei Menschen, die feststellen: wir mögen uns körperlich – da bin ich fast schon aggressiv pazifistisch. Sie gehen anständig unanständig miteinander um", so Doris Anselm.
Dass in der sexuellen Biografie ihrer Heldin solche Begegnungen mit fremden Männern immer wieder befriedigend gelingen, lässt den Roman dann fast etwas harmlos erscheinen. Doris Anselm hält dagegen, dass die meisten Gewalttaten an Frauen nicht von Unbekannten, sondern von Ehemännern und Freunden verübt werden. Die sexuelle Begegnung mit dem Fremden sei besser als ihr Ruf.
"Das finde ich komisch, auch wenn unsere Mütter uns immer etwas anderes erzählt haben. Im Endeffekt lebt eine Frau in einer Beziehung also viel gefährlicher als eine sogenannte Schlampe."

Doris Anselm: "Hautfreundin. Eine sexuelle Biographie"
Luchterhand Literaturverlag, München 2019
256 Seiten, 20 Euro

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