Don DeLillo: Null K
Roman. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016
280 Seiten, 20 Euro
Wunsch nach Unsterblichkeit
Der amerikanische Schriftsteller Don DeLillo befasst sich in seinem neuen Roman "Null K" mit dem Traum vom ewigen Leben. Seine Figuren wollen dem Tod entrinnen, indem sie sich in flüssigem Stickstoff einfrieren lassen. Sie möchten zu einem späteren Zeitpunkt aus dem Kälteschlaf auferstehen.
Der amerikanische Erzähler Don DeLillo, der am 20. November 80 Jahre alt wird, ist einer der markantesten amerikanischen Romanciers von heute, berühmt für seine geradezu visionäre Zeit-Diagnostik. Mit seinen großen Epochenromanen "Weißes Rauschen" (1985), "Sieben Sekunden" (1988) und "Unterwelt" (1997) wurde er zum Analytiker der amerikanischen Alpträume.
Sein Alterswerk, das mit dem Kurzroman "Körperzeit" (2001) einsetzt, zeigt DeLillo auf dem Weg zu immer knapperen, abstrakteren und rätselhafteren Texten, die in der Weltwahrnehmung und der pessimistischen Stimmung diffuser Bedrohung und latenten Terrors unterschwellig miteinander verbunden sind. In ihrer Wortkargheit und Lakonie wirken diese Kurzromane eher wie Novellen. In ihrer fast knöchernen Trockenheit erinnern sie an die Endzeit-Texte Samuel Becketts. Schon in dem Kurzroman "Der Omega-Punkt" (2010), einer Wüsten-Meditation über Zeit und Tod und das Ende der Zivilisation, stieß DeLillo ins Unerzählbare vor. Daran schließt nun sein jüngster Roman "Null K" thematisch und in der apokalyptischen Stimmung an.
Sein Alterswerk, das mit dem Kurzroman "Körperzeit" (2001) einsetzt, zeigt DeLillo auf dem Weg zu immer knapperen, abstrakteren und rätselhafteren Texten, die in der Weltwahrnehmung und der pessimistischen Stimmung diffuser Bedrohung und latenten Terrors unterschwellig miteinander verbunden sind. In ihrer Wortkargheit und Lakonie wirken diese Kurzromane eher wie Novellen. In ihrer fast knöchernen Trockenheit erinnern sie an die Endzeit-Texte Samuel Becketts. Schon in dem Kurzroman "Der Omega-Punkt" (2010), einer Wüsten-Meditation über Zeit und Tod und das Ende der Zivilisation, stieß DeLillo ins Unerzählbare vor. Daran schließt nun sein jüngster Roman "Null K" thematisch und in der apokalyptischen Stimmung an.
Eingefroren und konserviert
Wiederum kreist der Autor um das Thema Tod und den Wunsch nach Überwindung der Sterblichkeit. Der Titel spielt auf den absoluten Nullpunkt an, auf null Grad Kelvin, der von Physikern bei minus 273,15 Grad Celsius fixiert wurde. Es geht um Menschen, die den Tod überwinden wollen, indem sie sich kryonisch konservieren und in flüssigem Stickstoff einfrieren lassen, um eines zukünftigen Tages aus dem Kälteschlaf aufzuerstehen und dann ewig weiterzuleben. Dafür werden sie zwar nicht bei Null Kelvin konserviert, aber immerhin bei minus 196 Grad.
Schauplatz der ersten beiden Drittel des Romans ist eine labyrinthische unterirdische Anlage irgendwo in der zentralasiatischen Salzwüste, die Kommandozentrale eines Unternehmens namens "Die Konvergenz". Dieses wird von reichen Geldgebern unter Führung des Multimilliardärs Ross Lockhart finanziert, um wohlhabende Klienten in Eissärgen einzufrieren, in der unbestimmten Hoffnung auf künftige Wiederauferstehung. Es handelt sich um eine "Technologie, die auf Glauben baut" – den vagen Glauben daran, dass irgendwann in der Zukunft Technik und Medizin den Menschen ein ewiges Leben ohne Krankheit und Alterung ermöglichen werden.
Der Komplex ist eine Mischung aus Pilger-Hospiz, New-Age-Kloster, Think Tank, pharaonischer Kult-Stätte, futuristischem Mausoleum und naturwissenschaftlichem Laboratorium. Mit seinen Video-Installationen, seinen Wandmalereien und Skulpturen stellt der Komplex aber auch eine Art Kunstmuseum dar, quasi ein Projekt der Konzeptkunst. Unter den Klienten, die sich hier kryonisch konservieren lassen, befindet sich auch Ross Lockharts todkranke zweite Ehefrau Artis. Zu deren Verabschiedung hat Lockhart seinen Sohn Jeffrey aus erster Ehe anreisen lassen, einen Drifter und Job-Vagabunden aus Protest gegen seinen übermächtigen Vater. Jeff ist erfüllt von tiefer Skepsis gegen das ganze Unternehmen käuflicher Unsterblichkeit für Reiche auf einem bereits übervölkerten Planeten. Für ihn gehört zum Mensch-Sein auch der natürliche Tod.
Erzählerische Meisterschaft eines kühlen Gegenwartsanalytikers
Während Jeff diesen Un-Ort bis ins innerste, geheimste Sanctum erkundet, geht Artis in einen Zustand zwischen lebendig und tot über. DeLillo reflektiert das schwindende Bewusstsein der Frau in einem versickernden inneren Monolog, in dem zuletzt auch die Sprache vertropft. Beim Anblick der wie in ägyptischen Grabkammern aufbewahrten gefrorenen Untoten wird Jeff unerwartet von einem Gefühl der Ehrfurcht für die ästhetische Schönheit dieser menschengemachten Transzendenz ergriffen.
Zwei Jahre später – nach einem Intermezzo, in dem Jeffs eher konventionelles New Yorker Alltagsleben mit seiner Geliebten und deren plötzlich verschwundenem ukrainischem Adoptivsohn erzählt wird – kehrt Jeff abermals in die kryonische Unterwelt der "Konvergenz" zurück, diesmal als Sterbebegleiter seines Vaters: Der trauernde Witwer hat sich entschlossen, der untoten Artis nachzufolgen. Auf den Videowänden der Anlage, auf denen unentwegt Bilder der aktuellen Katastrophen und Kriege der Welt gezeigt werden, sieht Jeff in Echtzeit, wie der Sohn seiner Freundin als Kämpfer in der Ukraine erschossen wird.
"Null K" zeigt Don DeLillo ganz auf der Höhe seiner erzählerischen Meisterschaft als kühler Gegenwartsanalytiker, der wie kein anderer Autor unsere endzeitliche Zivilisation in ebenso zeitlose wie geheimnisvolle Zeichen und Bilder übersetzen kann.