Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung

Einladung zum Perspektivwechsel

08:08 Minuten
Aufnahme aus der Ausstellung Dokumentationszentrum des Flucht, Vertreibung, Versöhnung.
Vor der Versöhnung kommt die Verständigung, sagt Gundula Bavendamm, Direktorin der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. © imago images / Christian Kielmann
Gundula Bavendamm im Gespräch mit Ute Welty · 21.06.2021
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Nach langem Streit eröffnet das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Es stelle die Vertreibungserfahrung von 14 Millionen Deutschen in den Kontext der europäischen Geschichte der Zwangsmigration, sagt Historikerin Gundula Bavendamm.
Soll es einen Erinnerungsort für die Deutschen geben, die am Ende des Zweiten Weltkriegs aus den damaligen deutschen Ostgebieten vertrieben wurden? Und wenn ja, wie sollte dieser aussehen? Jahrelang tobte ein erbitterter Streit um das unter anderem von der Ex-CDU-Bundestagsabgeordneten und Vertriebenenfunktionärin Erika Steinbach initiierte Zentrum für Flucht und Vertreibung, das jetzt mit einiger Verzögerung eröffnet wird: als "Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung".
Im Mittelpunkt stehen dabei nach wie vor Flucht und Vertreibung von rund 14 Millionen Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs, erklärt die Historikerin Gundula Bavendamm, seit 2016 Direktorin der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. "Aber – und das ist zentral – durch das Stiftungsgesetz ist diesem Thema ein doppelter Kontextring zugegeben: Das ist zum einen der Kontext einer europäischen Geschichte der Zwangsmigration und zum anderen der Kontext der nationalsozialistischen Vertreibungs- und Vernichtungspolitik."
So gehe es auch darum, die "unverbrüchliche Verbindung zwischen der nationalsozialistischen Vertreibungs- und Vernichtungspolitik – also auch im Sinne einer bleibenden Verantwortung für die Verbrechen der Deutschen – mit dem dann folgenden Kapitel von Flucht und Vertreibung der Deutschen darzustellen".
Gleichzeitig sei Aufgabe des Zentrums, "allen Menschen, die Flüchtlings- oder Vertreibungserfahrungen haben, mit Empathie zu begegnen", betont Bavendamm. "Aber wir tun das – gerade auch in der ständigen Ausstellung, in der Art und Weise, wie wir es darstellen – in einer gewissen Nüchternheit. Wir sind ja ein Dokumentationszentrum und kein Museum und wir tun es natürlich auf dem Boden der Wissenschaft."

Historiker Schlott: "Gut in die Erinnerungsarchitektur eingebettet"

Die doppelte Einbettung der Vertreibungsgeschichte in den Kontext der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik wie in den einer gesamteuropäischen Geschichte der Zwangsmigration findet der Historiker René Schlott sehr gelungen. Zumal sie sich für ihn auch städtebaulich widerspiegelt: So reihe sich das Zentrum "wunderbar" in eine "Geschichtsmeile" ein, die aus dem Holocaust-Mahnmal, den Mahnmalen für die von den Nationalsozialisten ermordeten Homosexuellen, Sinti und Roma sowie Behinderten und psychisch Kranken besteht, dazu dem Dokumentationszentrum "Topographie des Terrors". "Von daher ist das eigentlich sehr gut eingebettet in die Erinnerungsarchitektur der deutschen Hauptstadt."

Das gesamte Gespräch mit René Schlott hier zum Nachhören:
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Dass es von der Idee bis zur Realisierung des Zentrums etwa 20 Jahre dauerte, ist Schlott zufolge durchaus positiv zu sehen: "Es ist ja auch wichtig, dass es einen gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozess über die Art von Erinnerungskultur gibt."
Schlott begrüßt auch, dass Nachbarländer wie Polen und Tschechien dabei hätten mitreden und Bedenken äußern können. "Es ist, glaube ich, sehr wichtig, dass das Ganze auch in einem Prozess der Verständigung geschieht, um tatsächlich vielleicht so etwas wie Versöhnung erreichen zu können."

Versöhnung lässt sich nicht verordnen

Diese Versöhnung, die das Dokumentationszentrum auch im Titel trägt, lasse sich allerdings nicht verordnen, räumt Stiftungsdirektorin Bavendamm ein. "Ich würde sagen, vor der Versöhnung kommt die Verständigung." Und dazu wolle man durch eine ausgewogene Ausstellung beitragen: "Wir haben darauf geachtet, dass die Konflikte, die es um das Thema gibt oder gab, auch transparent gemacht werden, dass man darüber sprechen kann", so die Historikerin.
"Wenn man das schafft, Menschen einzuladen, einmal eine andere Perspektive einzunehmen, nicht nur auf sich zu gucken, sondern auf die Schicksale der anderen, dann hätten wir schon viel geschafft. Vielleicht kann das auch für den einen oder anderen zum Gefühl der Versöhnung oder auch des inneren Friedens beitragen."
(uko)
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