Dokumentarfilm über JFK-Mord

Überzeugend inszenierter Unsinn

08:27 Minuten
John F. Kenndy nebst Gattin Jacqueline fahren in einer offenen Limousine durch Dallas und winken Zuschauenden.
Die Stille vor dem Schuss: Bis heute ist unklar, wie sich das Attentat auf Präsident Kennedy zutrug. © imago
Moderation: Susanne Burg  · 13.11.2021
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Schon vor 30 Jahren zweifelte Oliver Stone mit dem Film JFK die Theorie an, dass ein einzelner Täter John F. Kennedy ermordet hat. Nun legt Stone mit einem Dokumentarfilm nach. Film-Experte Patrick Wellinski sagt, was er daran für gefährlich hält.
1991 erschien JFK in den deutschen Kinos. Die Arbeit an dem Film war der Ursprung seines größten künstlerischen und beruflichen Erfolgs, sagt Patrick Wellinski. Oliver Stone verstehe sich als "Kino-Historiker, der Geschichte umschreibt, neu schreibt, unter seinem Vorzeichen wiedergibt." Egal, ob es der Vietnam-Krieg ist, 9/11 oder JFK.
Der Film JFK habe seinerzeit tatsächlich realpolitische Folgen gehabt. Der Kongress in den USA ließ per Gesetz alle Akten und Dokumente öffnen und Passagen entschwärzen. Damit sei die höchste Sicherheitsstufe aufgelöst worden. Stone habe das mit suggestiver Kraft und Reenactment geschafft. Er habe "hysterische Debatten" ausgelöst, als handele es sich es sich um die Aussagen einer Historiker-Kommission.

Die stümperhaften Ermittlungen boten Raum für Spekulationen

Die Geschichtsschreibung habe der Film letzten Endes aber nicht beeinflusst. "Das ärgert Stone", spekuliert Wellinski. Daher lege er die Lupe erneut an den Fall an. Viel Neues gebe es nicht. Doch das Gezeigte hat es in sich: Kontext und Subtext seien sehr kompliziert, findet der Filmkritiker: "Jeder, der bei null anfängt oder nur basales Wissen hat, ist komplett überfordert." Darin liege sogar eine gesellschaftliche Gefahr, die Stone erschaffen habe.
Oliver Stone blickt bei der Präsentation seines Films in Cannes 2021 skeptisch in die Kamera.
Skeptischer Altmeister: Oliver Stone bei der Präsentation seines Films in Cannes 2021. © picture alliance / Vianney Le Caer / Invision / AP
Tatsächlich hätten die verantwortlichen Ermittler ein "unfassbares Level an Inkompetenz" an den Tag gelegt. Ein Grund sei der Schockzustand gewesen, in dem sich Polizei, Geheimdienste und Polizei befunden hätten. Die Beteiligten hätten anschließend versucht, die offensichtlichen Widersprüche in einem "glattgebügelten" Warren-Report verschwinden zu lassen. Schon Zeitzeugen hätten die Augenbrauen hochgezogen: "Das kann so in der Form nicht gewesen sein."
Stones These damals wie heute: Die CIA hat in einer großen Verschwörungsaktion den ungeliebten Präsidenten erschossen – oder erschießen lassen. Stone reproduziere eine Indizienkette, die er mit "erzählerischer Meisterschaft und hohem suggestiven Potenzial" so flechte, dass es keinen Zweifel mehr geben könne, das seine Theorie die einzig wahre ist. Dazu nutze er Interviews, Talking Heads, Zeitzeugen, Archivaufnahmen, Off-Kommentare, Reenactment. Die Bilder fügten sich zusammen zu: Staatsgeheimnis, Verschwörung, Vertuschung.

Der Regisseur als Ermittler

Die Rolle des Ermittlers übernehme der Regisseur: "Ich, Oliver Stone, sage Euch ein für alle Mal, was damals passiert ist. Ich sage Euch jetzt mal, was damals in Dallas geschah. Hier ist die Wahrheit." Dabei sei die Aussage so inhaltlich nicht haltbar. Im Gegenteil: "Hoch überzeugend inszenierter Unsinn", findet Wellinski.
Stone beherrsche die Form der filmischen Fiktion so meisterhaft, dass ihm Zuschauende auf den Leim gingen. Ein "Indiziengewitter, das seinesgleichen sucht", feuere die Dokumentation an. Das erzeuge einen immersiven Sog, der den Zuschauer förmlich ins Gesehene hineinziehe. "Als Zuschauer hat man keine Zeit, sich selbst ein Bild zu machen", meint Wellinski. "Man wird im wahrsten Sinne des Wortes manipuliert."
Dabei biete jedes der gezeigten Indizien mehrere andere Interpretationsmöglichkeiten. All das sei kein Beweis für eine Verschwörung, aber auch kein Gegenbeweis, dass es sie nicht gab. "Wir haben es mit einer Fiktion zu tun, basierend auf Tatsachen und Widersprüchen", sagt Filmkritiker Patrick Wellinski.

Stone selbst spricht von "Verschwörungsfakten"

Und auch, wenn Stone von "Verschwörungsfakten" spreche: Stand heute könne man nur sagen, dass die These der Einzeltäterschaft eine von vielen sei. "Der Fall bleibt ungeklärt und wird es bleiben." Paratexte, Populärprodukte wie Filme oder Romane hätten das, was damals passiert ist, ins Reich der Fiktion übertragen.
Damit sei das Versagen der Behörden zum Einfallstor für Verschwörungstheorien geworden: "Die Zweifel an der offiziellen Version ist der Anfang für eine andere Theorie", die kann eben auch Verschwörungstheorie nennen könne. Doch Oliver Stone wolle nicht mehr nur aufdecken und sagen: Das kann man wissen, das kann so und so gewesen sein.
Stattdessen sage er: "Nein, so war es" und entwickele daraus eine Weltverschwörung. Das mache den Film zu – immerhin sehr überzeugender – Propaganda. Bei der Doku-Fiktion erfahre der Zuschauer sehr wenig über Kennedy, aber sehr viel über Oliver Stone: "Er produziert mittlerweile ein geschlossenes Weltbild anhand einer reinen Indizienkette, und da wird es gefährlich", findet Wellinski.
(ros)
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