Najem Wali über "Soad und das Militär"

"Meine Fiktion basiert auf Fakten"

11:32 Minuten
Najem Wali hat weißes Har. Er trägt sein helles Hemd offen, über der Jacke hat er ein rotes Tuch gelegt.
"Najem, das ist deine Rolle, diese Memoiren zu erfinden", sagte sich Najem Wali. Er hatte von den Spekulationen um Soad Hosnys Tod gehört. © imago / viadata
Najem Wali im Gespräch mit Andrea Gerk · 11.06.2021
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An den Fall der ägyptischen Schauspielerin Soad Hosny angelehnt, schreibt Najem Wali über das Militär in Ägypten und überall. Es geht um Herrschaft und Machtmissbrauch und das zerstörte Leben einer Künstlerin.
Ein Mann begegnet in Kairo einem alten Freund, einem Amerikaner. Zu dem Zeitpunkt sind drei Jahre seit den Protesten auf dem Tahrir-Platz vergangen, viel mehr seit der letzten Begegnung der beiden. Der Freund erzählt, er habe mit seiner großen Liebe Soad, einer berühmten ägyptischen Schauspielerin und Sängerin, jahrelang in London zusammengelebt, um sie aus den Fängen des Militärs zu retten.
So beginnt der neue Roman des Schriftstellers und Journalisten Najem Wali, der in Basra geboren wurde und 1980 aus dem Irak nach Deutschland geflohen ist. Während seine bisherigen Werke vor allem in seiner Heimat spielen, siedelt Wali sein neues Werk in Ägypten an, wo das Militär seit 1952 die große Macht im Land ist. "Sie gehen vielleicht mal aus der Tür, aber kommen durch das Fenster zurück, wie es nach dem Arabischen Frühling passiert ist", sagt Wali.

Spekulation um Todesumstände

In seinem Roman stürzt die große Liebe seines Freundes dann aus dem sechsten Stock ihres Hauses in England. Die Umstände ihres Todes lassen Spekulationen aufkommen: War der ägyptische Geheimdienst verwickelt? Weil es hieß, Soad arbeite an ihren Memoiren, in denen sie sich auch mit der Rolle des ägyptischen Militärs beschäftigte? Dem Militär, das ihr Leben gesteuert habe. Der amerikanische Freund übergibt dem Erzähler elf Hefte der Memoiren.
Wali hat den Roman an einen realen Fall in Ägypten angelehnt: "Ich suche die Fakten und ich baue auf diese Fiktion, bis man das nicht mehr unterscheidet", sagt er zu seiner Arbeitsweise als Erzähler. "Meine Fiktion basiert auf Fakten, sie können das Faktion nennen."
Leicht lässt sich Soad Hosny als Vorbild der Romanfigur identifizieren: "Sie war ein einfacher Mensch, ein liebevoller Mensch und hat tolle Rollen gespielt, man hat sie auch Cinderella genannt." Sie stürzte in London aus dem Fenster, anschließend wurde kräftig gemutmaßt: "Man sagt, Selbstmord, Unfall – man sagt, das Militär war dahinter, weil sie ihre Memoiren schreiben wollte. Aber bis jetzt haben wir keine Memoiren gesehen. Da habe ich mir gedacht, Najem, das ist deine Rolle, diese Memoiren zu erfinden."

Herrschaftsmechanismen im Militär und darüber hinaus

Im Roman sagen die Militärs zu Soad, sie solle ein Vorbild für alle ägyptischen Frauen werden. Wali sagt, das heiße: eine Frau in Abhängigkeit. "Wenn man den Roman liest, ist die Beziehung zwischen Soad und dem Militär kompliziert: Es geht um Herrschaftsmechanismen von Militärs", sagt der Autor. "Soad sollte für die Revolution singen, für die Revolution schauspielern, ihr Leben lang – das wollten sie haben."
Er macht aber zugleich deutlich, dass es um mehr gehe: "um Abhängigkeit überall in der Welt, wie man einen Künstler abhängig macht und wie das Leben einer Künstlerin zerstört wird." Dann schlägt er einen großen Bogen: "Weinstein ist im Roman nicht anders als Offizier Cherif."
Im Buch beschäftigt sich Wali auch mit der Sprache des Militärs. Der amerikanische Freund des Erzählers arbeitet an einem Wörterbuch der Sprache der Militärs weltweit und will Ähnlichkeiten entdecken. Für ihn gelte: "Militär heißt das Böse", sagt Wali. "Militär ist gegen das Schöne in der Welt."

Die Sprache der Militärs

"Ich war selber in der irakischen Armee als Rekrut nach meinem Abschluss der Uni", sagt Wali, "ich wusste, dass die Sprache von Soldaten anders ist als die Sprache auf der Straße. Ich glaube, in Deutschland ist das auch nicht anders."
In allen Diktaturen sei es gleich, dass man fast zwangsläufig in die Angelegenheiten des Militärs verstrickt werde, so Wali. Ihm gehe es um Unabhängigkeit und deren Gegenteil: "Wenn man von der Macht abhängig gemacht wird, ist das Machtmissbrauch. Das Militär kann das gut machen, weil es an der Macht ist" – in Ägypten seit fast 70 Jahren.
(mfu)

Najem Wali: "Soad und das Militär"
Aus dem Arabischen von Christine Battermann
Secession Verlag, Berlin 2021
346 Seiten. 28 Euro

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