Für die documenta-Leitung sei der Vorgang eine Blamage, urteilt Kunstkritiker Carsten Probst . Die Wortmeldung des Zentralrats der Juden habe gezeigt, dass man bei Planung der Gesprächsreihe entweder nicht mit diesem gesprochen habe oder nicht auf seine Bedenken eingegangen sei. Danach habe man offenbar befürchtet, mit einzelnen Diskussionsbeiträgen in der Gesprächsreihe alles nur noch schlimmer zu machen und eine hektische Absage formuliert.
documenta sagt Gesprächsreihe ab
Die Antisemitismus-Vorwürfe gegenüber Teilen des Kuratorenteams der documenta fifteen werfen einen Schatten auf die kommende Ausgabe. © imago-images / epd / Andreas Fischer
Vorrang für die Kunst - keine schlechte Idee!
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Nach Antisemitismusvorwürfen hat die documenta eine Gesprächsreihe abgesagt. Eine richtige Entscheidung, meint Ludger Fittkau. Die Reihe habe mit ihrer Zielsetzung das Thema verfehlt.
Die Kunst sprechen lassen, auch wenn es um Antisemitismusvorwürfe geht. Das ist an sich keine schlechte Idee. Offenbar ist die documenta überzeugt, dass das indonesische Kuratorinnen- und Kuratoren-Kollektiv "ruangrupa" mit seiner Auswahl von Künstlerinnen und Künstlern und deren Objekten und Performances für Kassel den Verdacht des israelbezogenen Antisemitismus ausräumen kann, der seit einigen Monaten im Raum steht.
Berechtigte Kritik des Zentralrats der Juden
Wenn das so sein wird, ist das gut so! Wenn nicht, kommt die Debatte, die nun abgesagt wurde, schnell zurück. Und wird dann wohl umso heftiger ausfallen, da muss man kein Prophet sein. Im Kern hatte der Zentralrat der Juden mit seiner Kritik an den jetzt abgesagten Diskussionsveranstaltungen nämlich recht.
Auch wenn da zum Teil sehr renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf den Podien gesessen hätten, das Thema war doch irgendwie verfehlt. Nicht von der Boykottbewegung BDS – also "Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen" gegen Israel war in der Einladung die Rede, sondern stattdessen vom "Grundrecht der Kunstfreiheit angesichts von steigendem Rassismus und Antisemitismus und zunehmender Islamophobie."
Damit ging die Veranstaltungseinladung an dem vorbei, was vorher deutlich öffentlich kritisiert worden war und erst zu den angebotenen Foren geführt hatte: Dass nämlich einzelne Mitglieder von "ruangrupa" sowie einige mit ihnen kooperierende Künstlergruppen möglicherweise mit dem radikalen Teil der BDS-Bewegung sympathisieren, der das Existenzrecht Israels grundlegend infrage stellt. Dazu kam: Der Zentralrat fühlte sich nicht einbezogen.
Die Diskussionen werden weitergehen
Claudia Roth, die Kulturstaatsministerin, hatte im Streit zwischen dem Zentralrat und der documenta Vermittlung angeboten. Doch selbst wenn beide Seiten dieses Angebot angenommen hätten: So kurz vor Beginn der documenta 15 Mitte Juni hätte man wohl kaum neue Podien zusammenstellen können.
Wie auch immer die Diskussionsrunden aussehen, die nun nach der Eröffnung der „documenta 15“ dann von den Macherinnen und Machern der Weltkunstausstellung angekündigt werden: Diskutiert wird in Kassel ohnehin!
"Kunst, die auf Gegenwart zielt, hat unweigerlich mit den teilweise ziemlich vergifteten Verhältnissen von Kunst, Politik und Gesellschaft zu tun." Das ist der sehr wahre Satz, den etwa Heinz Bude, der Gründungsdirektor des documenta-Instituts über seine Diskussionsreihe gestellt hat, die er ganz unabhängig von "ruangrupa" in Kassel anbietet.
Schon wenige Tage nach der Eröffnung der documenta 15 nämlich am 28. Juni werden etwa Claus Leggewie und Daniel Cohn-Bendit mit ihm diskutieren. Cohn-Bendit ist jemand, der den Bundestagsbeschluss für falsch hielt, der gesamten BDS-Bewegung in Deutschland den Zugang zu öffentlichen Räumen verbieten zu wollen. Der aber zurückweist, Israel mit Südafrika zu Zeiten der Apartheid gleichzusetzen, wie es Teile der BDS-Bewegung immer wieder tun.
Die oft menschenverachtende Siedlungspolitik Israels in den Palästinensergebieten muss kritisiert werden dürfen – auch von Künstlerinnen und Künstlern bei der documenta 15. Doch das Existenzrecht dieses Staates darf nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden. Wenn die Künstlerinnen und Künstler das in Kassel berücksichtigen, wie es offenbar die documenta-Direktion glaubt, werden sich die Wogen schnell glätten. Dann hat die Absage Sinn gemacht.