Antisemitismus-Vorwürfe gegen Documenta
Kulturstaatsministerin Claudia Roth © picture alliance / dpa / Tom Weller
Kulturstaatsministerin Roth fordert Überprüfung
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Die Documenta steht in der Kritik: Ein palästinensisches Kulturzentrum, mit dem das Leitungsteam Ruangrupa kooperiert, soll antisemitische Positionen vertreten. Kulturstaatsministerin Claudia Roth will den Vorwürfen persönlich nachgehen.
Wie steht es um die Zukunft unseres Planeten? Diese Frage diskutiert die Kunstsammlung NRW in ihrer Gesprächsreihe „Open Space“. Zu Gast waren zuletzt Reza Afisina und Iswanto Hartono vom indonesischen Künstlerkollektiv Ruangrupa, das die nächste Documenta in Kassel kuratiert. Bei der anstehenden Weltkunstausstellung solle das „soziale Ökosystem Kassel“ einen großen Raum bekommen, betonten die beiden Kuratoren.
Doch genau aus diesem „sozialen Ökosystem“ kommen nun Antisemitismusvorwürfe gegen Ruangrupa. Denn das Kollektiv aus Jakarta kooperiert für die Documenta 15 mit anderen Künstlerkollektiven weltweit, auch mit einer Gruppe in einem nach dem arabischen Reformpädagogen Khalil al Sakakini benannten Kulturzentrum in der palästinensischen Stadt Ramallah.
Boykottaufrufe gegen Israel
„Sakakini – das ist jetzt schon mehrfach dargelegt worden – hat sich positiv auf die Nationalsozialisten und auch auf Adolf Hitler bezogen", sagt Jonas Dörge vom Kasseler Bündnis gegen Antisemitismus", und das Khalil-al-Sakakini-Kulturzentrum hat sich als NGO definiert und war auch von Anfang an – das hat der NGO-Monitor von Israel dargelegt – in der Boykottbewegung gegen Israel beteiligt.“
„Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“, kurz BDS, das ist eine internationale Bewegung, die zumindest in Teilen das Existenzrecht Israels infrage stellt.
Reza Afisina und Iswanto Hartono von Ruangrupa gingen in der Düsseldorfer Veranstaltung nicht auf die Vorwürfe der Kasseler Bürgerinitiative ein. Dabei hätte ihnen zumindest eine Frage aus dem Publikum Gelegenheit dazu geboten, die auf die Kommunikation des Kuratorenteams mit den an der Documenta beteiligten Kollektiven, Künstlerinnen und Künstlern zielte.
"Jedes Kollektiv ist in seinen Kontext eingebettet"
Kriterien wie Humor, Nachhaltigkeit oder auch eine lokale Verankerung müssten erfüllt werden, so Iswanto Hartono von Ruangrupa. Ansonsten gelte: „Jedes Kollektiv ist in seinen eigenen Kontext eingebettet. Jede Gruppe hat jeweils ihre eigenen sozialen und politischen Probleme.“
Politischer Kritik aus Deutschland sieht sich aber Ade Darmawan von „Ruangrupa“ ausgesetzt. Denn er hat gemeinsam mit Adam Szymczyk, dem Leiter der Documenta 14, einen sogenannten „Brief gegen die Apartheid“ unterschrieben. Darin werden Angriffe des israelischen Militärs auf den Gazastreifen kritisiert. Die Raketen, die zuvor aus dem Gaza-Gebiet auf Israel abgefeuert wurden, werden hingegen nicht erwähnt. Stattdessen wird Israel als „Kolonialmacht“ bezeichnet, die „Kulturbeziehungen“ zu dieser Macht seien „zu beschneiden.“
Umstrittene Kritik an israelischer Siedlungspolitik
Lasse Schauder vom Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Kassel fordert nun eine öffentliche Auseinandersetzung der Documenta mit Positionen, wie sie Szymczyk und Darmawan im „Brief gegen die Apartheid“ vertreten:
„Und dafür halten wir es für notwendig, dass die Documenta sich nun explizit mit israelbezogenem Antisemitismus auseinandersetzen muss, wie er beispielsweise in der BDS-Kampagne oder auch diesen angelehnten Statements wie diesem Letter against the Apartheid vertreten wird.“
Dass Israel als Apartheidsregime bezeichnet wird, ist auch bei Kritikerinnen und Kritikern der israelischen Siedlungspolitik umstritten. Denn israelische Staatsbürgerinnen und -bürger arabischer Muttersprache können in Israel wählen. Öffentliche Einrichtungen sind ihnen nicht aus rassistischen Gründen verwehrt, wie den Schwarzen im früheren südafrikanischen Apartheidsstaat oder in den Südstaaten der USA vor der Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre.
Kulturstaatsministerin will Gespräche führen
Die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth will der Kritik an Ruangrupa nun nachgehen. (*) Auf Nachfrage von Deutschlandfunk Kultur erklärt sie schriftlich:
„In der Presse werden derzeit Vorwürfe gegen die documenta diskutiert. Diesen Vorwürfen muss und will die documenta nachgehen. Ich engagiere mich seit Jahrzehnten im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus. Deswegen habe ich Kontakt mit den Trägern der documenta, dem Bundesland Hessen und der Stadt Kassel aufgenommen. Wir werden am Montag mit der documenta zusammenkommen und über die notwendige Überprüfung der Vorwürfe beraten.“
Christian Geselle, der Documenta-Aufsichtsratsvorsitzende und Kasseler Oberbürgermeister, sieht eine solche Überprüfung jedoch kritisch. Es dürfe keinen Eingriff in die künstlerische Freiheit geben – wenn überhaupt, nur bei Überschreitung „roter Linien“. Diese habe es hier aus seiner Sicht bisher nicht gegeben, so Geselle ebenfalls in einer schriftlichen Stellungnahme.
(*) Redaktioneller Hinweis: Wir haben den Beitrag um einen missverständlichen Satz gekürzt.