Diversität im deutschen TV

Das Fernsehen kann von Netflix & Co viel lernen

Tyron Ricketts in der Serie "Sam ein Sachse".
Stetig sich wandelnde Sehgewohnheiten verlangen nach mehr Diversität: Tyron Ricketts in der Serie "Sam - Ein Sachse". © Disney+ / yohana_papa onyango
Ein Einwurf von Tyron Ricketts · 24.04.2023
Streaming-Anbieter machen es vor, das Fernsehen hinkt hinterher: Der Schauspieler Tyron Ricketts fordert mehr Diversität im deutschen TV. Wandel sieht er durch verkrustete Strukturen behindert, in denen die immer gleichen Menschen den Ton angeben.
Als ich 1994 meinen ersten Film in Deutschland drehte, war ich fast der einzige Schwarze Schauspieler auf der Leinwand oder im Hauptabendprogramm. Glaubt man der aktuellen Diskussion über Diversität und Inklusion im deutschen TV, scheint sich das knapp 30 Jahre später „gefühlt“ geändert zu haben.

Weg vom Objekt – hin zum Subjekt

Aber wie sieht es wirklich aus mit dem längst notwendigen Wandel in der deutschen Film- und TV-Landschaft? Hat sich wirklich etwas geändert? Nicht nur bezogen auf die Häufigkeit, in der marginalisierte Schauspieler*innen auf dem Bildschirm auftauchen, sondern auch bezüglich der Art und Weise, wie diese dargestellt werden?
Weg vom Objekt – der Begierde, der Beobachtung oder des Anstoßes – hin zum Subjekt der Geschichte? Zu der Person, aus deren Perspektive der Film erzählt wird? Nicht wirklich!
Seit ungefähr 20 Jahren sitzen ich und andere Aktivist*innen in politischen Gesprächsrunden, Podiumsdiskussionen und Gremien und hören meist leere Sonntagsreden und Versprechungen über Selbstverpflichtungen, Chartas der Vielfalt und angeblichen Wandel. Unser Unbehagen über diese Stagnation wurde dann 2021 durch Zahlen bestätigt.
Studien wie „Vielfalt im Film“ und „Fortschrittsstudie zur audiovisuellen Diversität“ zeigten: Menschen mit Migrationshintergrund, People of Color und andere marginalisierte Gruppen sind, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil, im deutschen  Fernsehen nach wie vor deutlich unterrepräsentiert.
Oft sind es Erfindungen und technologische Neuentwicklungen, die Menschen dazu zwingen, sich zu verändern. Das Internet und die fortschreitende Digitalisierung etwa haben dazu geführt, dass wir als Gesellschaft nicht mehr in einer Pyramide kommunizieren, in der einige wenige die relevanten Themen von oben herab bestimmen.

Netzwerke statt Pyramide

Im Zeitalter der Digitalisierung kommunizieren wir in Netzwerken und auch die vormals Stimmlosen erheben ihre Stimme. Bewegungen wie #MeToo, Fridays for Future und Black Lives Matter und ihre Themen kommen auf die öffentliche Agenda. Schaffen Wandel.
Und plötzlich ist es unerlässlich für das Narrativ einer funktionierenden Gesellschaft, auch alle in ihr enthaltenen Teile mitzuerzählen. Bleibt das aus, ist das Narrativ, und schlussendlich auch die Gesellschaft, nicht zukunftsfähig.
Die Streamingdienste mit ihrem weltweiten Publikum haben inzwischen verstanden, dass sich in ihren Geschichten auch das Publikum wiederfinden muss, das sie ansprechen wollen. Unsere Produktion “Sam – Ein Sachse” bei Disney+ ist ein gutes Beispiel dafür. Sie erzählt die Geschichte des ersten Schwarzen Polizisten Ostdeutschlands und seines Kampfes für Gerechtigkeit und gegen den alltäglichen Rassismus.
Und langsam kommt man auch im deutschen Film und TV auf den Trichter. Um bei sich stetig wandelnden Sehgewohnheiten Teil des Geschehens bleiben zu können, müssen auch hier die Weichen neu gestellt werden. Gelingt das nicht, werden die jungen und diversen Menschen endgültig zu den Streamern abwandern.

Verkrustete Strukturen, veraltete Methoden

Aber verkrustete Strukturen in der deutschen Film- und TV-Landschaft machen den Wandel schwierig. Die immer gleichen Menschen schreiben Geschichten und produzieren sie, veraltete Methoden wie die Einschaltquote messen den „Erfolg“, und ungerechte Zuteilungen von Geldern für Filmschaffende durch ein veraltetes Fördersystem verhindern mehr Diversität und Inklusion.
Wollen wir eine Erzählung von Deutschland haben, die der bestehenden und gelebten diversen Realität unseres Landes entspricht, müssen wir uns um gelebte Inklusion an allen Stellen der Film- und Fernsehproduktion kümmern. In den Writer`s Rooms, in den Produktionsfirmen, vor und hinter der Kamera, an den Redaktionstischen der Sender, in den Vergabegremien der Förderungen und in den Chefetagen der Sender und Streamer.
Denn nur, wenn diverse Stimmen an allen Stellen des Prozesses beteiligt sind, wird das Ergebnis dieser Produktionen auch wahrlich divers und inklusiv sein.

Tyron Ricketts ist Moderator, Schauspieler und Produzent und engagiert sich seit Jahrzehnten für POC und mehr Diversität in der Medienwelt. Für die deutsche Bundesregierung realisierte er Integrationsprogramme wie „Respekt 2010“ und „Heimat Almanya“. Mit seiner Produktionsfirma Panthertainment produziert er Film- und Serien-Content mit Fokus auf Geschichten von POC für den globalen Markt. Zuletzt koproduziert er mit der Ufa die Disney+-Serie „Sam – Ein Sachse“, in der er auch selbst vor der Kamera steht.

Der Schauspieler und Produzent Tyron Ricketts steht mit einem wollenen Jackett und grauem Rollkragenpullover bekleidet in einem Garten und blickt in die Kamera.
© imago images / VISTAPRESS / Wenzel
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