Dirk von Petersdorff: "Gewittergäste"

Abendessen auf Hochtouren

04:23 Minuten
Das Cover zu Dirk von Petersdorffs Novelle "Gewittergäste" zeigt neben dem Namen des Autors und dem Buchtitel die Zeichnung einer Landschaft mit vereinzelten Bäumen unter einem pastellfarben schimmerndem Wolkenhimmel.
© C.H. Beck

Dirk von Petersdorff

GewittergästeC. H. Beck, München 2022

124 Seiten

20,00 Euro

Von Rainer Moritz |
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Ein zwangloser Abend unter Kollegen hätte es werden sollen. Doch zuerst verstricken sich die Ost- und Westdeutsche in hitzigen Diskussionen. Dann klingeln aberwitzige Figuren, es gewittert und ein Kampfhubschrauber stürzt auch noch ab.
Dass es in Romanen etwas zu bedeuten hat, wenn Regenfronten aufziehen und schwere Gewitter dräuen, weiß man spätestens seit Friedrich Christian Delius’ Dissertation „Der Held und sein Wetter“. Und die Autorenlust, Texte mit meteorologischer Symbolik aufzuladen, hat seitdem nicht abgenommen – wie die neue Novelle des Lyrikers und in Jena lehrenden Literaturwissenschaftlers Dirk von Petersdorff belegt.

Ein Freitagabend in Ostdeutschland

„Gewittergäste“ ist das schmale Kammerstück überschrieben und lässt von Anfang an keinen Zweifel daran, dass das, was sich da an einem schwülen Freitagabend irgendwo im Osten Deutschlands abspielt, nicht heiter und unbeschwert enden wird.
Vor einem Jahrzehnt sind Jenny und Friedrich aus Heidelberg in den Osten gezogen, ohne dort wirklich heimisch geworden zu sein. Man bewohnt eine Doppelhaushälfte, hat zwei Söhne und verkörpert auf den ersten Blick in sich ruhende bürgerliche Stabilität. Unter der Oberfläche rumort es freilich: Die „tausend Widersprüche“ im gesellschaftlichen „Großen und Ganzen“ sind nicht zu leugnen; das Gefühl, von einem „zu hoch dosierten“ Alltag überfordert zu sein, macht sich breit.

Politische Diskussion am Esstisch

Als Jenny auf die Idee kommt, Rolf, einen in Brandenburg lebenden Berufskollegen, und dessen Ehefrau Beate zum Abendessen einzuladen, brechen sich die Konflikte Bahn. Die Viererkonstellation, zu der sich eine Jugendfreundin Friedrichs gesellt, tritt auf, als sei sie einem Theaterstück Yasmina Rezas entsprungen oder entfernt verwandt mit den Akteuren in Martin Walsers „Ein fliehendes Pferd“, das ja ebenfalls als Novelle firmierte und heftige Bodenseestürme auffahren ließ.
Dirk von Petersdorff scheint zu Anfang vor allem den oft beschriebenen Unmut der ostdeutschen „Seele“ demonstrieren zu wollen. Rolf, ein ehemaliger NVA-Soldat und Urostler gewissermaßen, lässt seiner Wut, befeuert von reichlich Alkohol, freien Lauf. Er schimpft über syrische Flüchtlinge, die „Demokratur“ der Bundesrepublik und die Bevormundung durch die Westdeutschen, die das „Bewusstsein“ für sich „gepachtet“ hätten.

Theaterpersonal und Knalleffekt

Das ist nicht besonders originell, doch je länger man Petersdorffs Novelle folgt, desto mehr verschwimmen ihre realistischen Konturen. In dem Maße, wie sich ein kapitales Gewitter über der Abendgesellschaft aufbaut, lässt der Text nichts aus, um sich zur Groteske auszuweiten. Da tauchen in rascher Abfolge ein syrischer Pizzabote, der sich mit den Regierungszeiten deutscher Kaiser prächtig auskennt, und ein russischer Soldat auf, der einem vor vielen Jahren getöteten Kameraden nachtrauert.
Und für den letzten Knalleffekt sorgt die Notlandung eines brennenden US-Kampfhubschraubers, der, so Rolf, sicher von den ostdeutschen Blitzen zu Boden gebracht worden sei.

"Alle schnappen nach Luft"

Das alles ist oft komisch und vor allem sehr schräg, ablesbar auch an einer Sprache, die so hochtourig einherkommt, dass man dem gelehrten Autor Absicht unterstellen darf. Eine „galaktische Dusche, voll aufgedreht“ – damit ist sowohl das Wetter an diesem verkorksten Abend als auch Petersdorffs skurrile Prosa beschrieben. Wenn es über das Gewitter heißt: „Aber vorerst triumphierte es nur als Paukenschlag oder als Faust, die in die Magengrube der Nacht schlug und auch Friedrichs Bauch kurz in ein Vakuum verwandelte“, so sollte man diesen unbekömmlichen Metaphernsalat nicht allzu ernst nehmen. „Zu hoch dosiert“, auch das.
„Alle schnappten nach Luft“, lautet der letzte Satz des Buches – ein Bedürfnis, das dessen Leserinnen und Lesern mit den „Gewittergästen“ gerne teilen.
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