Digitalisierung

Landleben mit Apps und Glasfaserkabel

Das Foto zeigt einenTelekom- Hausanschluss mit Glasfaserkabel: Ein gerolltes Kabel lehnt an einer Mauer, daneben ein Verteilerkasten.
In Bayern soll möglichst bald jeder Haushalt einen Glasfaser-Anschluss haben. Auf dem Land kann schnelles Internet fehlende Infrastruktur ausgleichen. © picture alliance / Zoonar / DesignIt
Von Marlene Thiele · 21.09.2022
Die Gemeinde Spiegelau in Bayern gleicht fehlende Infrastruktur mit digitalen Angeboten aus: Per App kann man mit Ämtern kommunizieren oder einen Rufbus ordern. Arztbesuche sind online möglich. Geht es nach dem Bürgermeister, ist das erst der Anfang.
Gabi Neumann-Beiler sitzt an einem weiß gedeckten Tisch. Vor ihr brennt eine Kerze, hinter ihr hängt ein Kruzifix. Die blond gelockte Frau mit Brille ist umringt von Stofftieren – sie hält eine Andacht für Kinder.
„Grüß Gott liebe Kinder, schön, dass ihr wieder dabei seid. Begrüßen möchte ich neben den bekannten Freunden auch Franziska. Die meinte, ich solle unbedingt von diesem Mann erzählen. Der Mann, den viele Menschen bewundern, heißt Franz von Assisi und lebte vor ungefähr 800 Jahren in Italien.“

Andacht aus der Sitzecke

Gabi Neumann-Beiler sitzt nicht in einer Kirche oder Kapelle und auch in keinem Gemeindehaus, sondern zu Hause. Ihre Geschichte vom heiligen Franz von Assisi, der seinem Leben als reicher Mann entsagte, um Mönch zu werden, hat trotzdem fast 1500 Zuschauer – weit mehr, als jede Andacht vor echtem Publikum. Die Szene stammt vom Youtube-Kanal „Evangelisch in Spiegelau“. Die Diakonin hat im Mai 2020 begonnen, Andachten in ihrer holzvertäfelten Sitzecke zu filmen.
Dafür rüstete Neumann-Bieler technisch auf, ihr Ehemann fuchste sich in die Technik ein. Sie begannen mit Übertragungen via Zoom, danach kamen erste Videos auf Youtube. Rat und Hilfe fanden sie auch beim „Digitalen Dorf“.

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Das „Digitale Dorf“ ist ist ein Projekt der Bayerischen Staatsregierung unter Federführung des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie. Mithilfe von digitalen Diensten und Anwendungen soll der ländliche Raum wieder zum attraktiven Wohn- und Wirtschaftsraum gemacht werden. Bisher gibt es fünf Modellprojekte. Eines davon hier in Spiegelau. Die kleine Gemeinde in Niederbayern hat knapp 4000 Einwohner.

Mit der App den Rufbus ordern

Früher wurde in Spiegelau vor allem Glas produziert. In den 60er-Jahren gab es in der Holz- und Glas-Industrie zusammen noch rund 2000 Arbeitsplätze. Dann schlossen die Glashütten in Niederbayern eine nach der anderen.
Fehlen die Jobs auf dem Land, flüchten die Menschen in die Städte. Der Ort kämpft mit den klassischen Herausforderungen des ländlichen Raums, sagt Bürgermeister Karlheinz Roth: „Zum einen der demografische Wandel. Dann natürlich das Thema der Mobilität, die längeren Wege, dann aber auch die Versorgungssituation. Die Gemeinde Spiegelau besteht aus 33 Ortsteilen, und wenn man die genau betrachtet, kann man feststellen, dass die Hauptversorgungsstrukturen alle in einem Ortsteil, nämlich im Hauptort Spiegelau liegen.“
Inzwischen gibt es einen Rufbus, der die einzelnen Ortsteile von Spiegelau miteinander verbindet. Die Fahrt kostet einen Euro und startet nur nach vorheriger Anmeldung per E-Mail oder Telefon. Schritt für Schritt will Karl-Heinz Roth den Bürgerinnen und Bürgern in Spiegelau die Infrastrukturen ermöglichen, die es sonst nur in Städten gibt. Mittels Digitalisierung.

200.000 Euro für gute Konzepte

„Mich beschäftigt Digitalisierung fast mein ganzes politisches Leben", betont Roth. 2017 startete das „Digitale Dorf Bayern“. Gemeinden oder Gemeindeverbünde haben Digitalkonzepte entwickelt. In einem Wettbewerb wurden zwei ausgewählt, sie bekamen eine Förderung von 200.000 Euro. Spiegelau bewarb sich gemeinsam mit dem Nachbardorf Frauenau und bekam den Zuschlag.
Zunächst haben Roth, sein Kollege aus Frauenau und die vielen Unterstützerinnen und Unterstützer Schwerpunkte gesetzt: In der Grundschule in Spiegelau gibt es WLAN, und es werden im begrenzten Umfang Tablets und Laptops eingesetzt. Eltern werden per App über ausfallenden Unterricht informiert und können Termine beim Lehrer buchen.

Online-Sprechstunden beim Arzt

Der Hausarzt vor Ort bietet Online-Sprechstunden an. Die katholische Kirche streamt den Gottesdienst. Es gibt auch eine digitale Bibliothek mit 60.000 Medien. Eine Webseite bündelt das digitale Angebot. Zusätzlich gibt es Apps, die sich jede und jeder herunterladen kann: eine für die Schule, eine für die Vereine, eine fürs digitale Rathaus.
Karlheinz Roth zeigt sie stolz. Über die App können auch Bürgeranliegen ans Rathaus gerichtet werden: „Das heißt, der Bürger geht durch den Park, sieht: Die Parkbank ist auf den Kopf gestellt worden von irgendwem. Dann kann der Bürger Wichtiges melden. Kann reinschreiben, was passiert ist. Kann ein Foto machen, kann uns mitteilen, wo es passiert ist. Und kann zum Schluss sagen, wer er ist und das wegsenden.“
Das „papierlose Büro“ habe sich bewährt, sagt Roth. Digitale Rathäuser gibt es inzwischen bayernweit – ein Förderprogramm des Bayerischen Digitalministeriums hat inzwischen mehr als 1000 der über 2000 Kommunen mit jeweils bis zu 20.000 Euro gefördert.
Bis Ende des Jahres sollen deutschlandweit alle Verwaltungsleitungen von Bund, Ländern und Kommunen auch digital verfügbar sein. Die Ampel-Koalition plant auch, eine staatliche, digitale ID einzuführen. Die fehle bisher, sagt Judith Gerlach, die bayrische Digitalministerin.
„Wir haben bis heute keine wirklich gute, adäquate Identifikation, eine digitale, die die Menschen nutzen könnten. Der 'nPa' hat sich bisher einfach nicht durchgesetzt, das wird so nicht genutzt.“
Die Ablürzung "nPa" steht für den neuen elektronischen Personalausweis, der seit 2010 ausgestellt wird. Mit Hilfe eines Kartenlesegeräts kann man mit dem nPa die Identität nachweisen – was aber kaum jemand macht.
„Und das ist teilweise unser Hauptproblem. Denn wir können noch so schöne digitale Verwaltungsdienstleistungen digitalisieren in Bayern. Wenn mich am Ende der Bundesgesetzgeber zwingt, das Papier auszudrucken, zu unterschreiben und meiner Behörde zurückzuschicken, dann ist das kein digitaler Prozess.“
Das Ministerin hat einen Digitalplan aufgestellt, in dem Bayerns Ziele und Projekte bis 2030 definiert werden.

Smarter Verkehr als Ziel

„Wir leben in einer immer digitaleren Welt und diese Entwicklung wird nicht einzubremsen sein. Aus meiner Sicht ist das auch nicht nötig, sondern wir sollten das eher als Chance begreifen.“
Mithilfe der Digitalisierung könne sich zum Beispiel der Verkehr smart lenken lassen. Oder man könne Wetterdaten nutzen, um zu sehen, wo gegossen und gedüngt werden muss. Bayern habe in der Vergangenheit immer wieder gezielt einzelne Projekte gefördert, die ihre Technologie dann für andere Orte zur Verfügung stellen konnten.
Den Breitbandausbau fördert in Bayern das Finanzministerium. Inzwischen können über 97 Prozent der bayrischen Haushalte mit mindesten 30 Mbit pro Sekunde im Internet surfen, aktuell laufen Maßnahmen, um 99 Prozent zu erreichen. Spiegelau ist komplett ans Glasfasernetz angeschlossen. Außerdem gibt es acht WLAN-Hotspots für die Bürger.

Nicht alle sind überzeugt

Die wenigen Spaziergänger auf der Hauptstraße von Spiegelau sind entweder Touristen, oder sie kennen das Digitale Dorf nicht. Die Kioskbesitzerin argumentiert leidenschaftlich gegen die Digitalisierung: „Ob der Mensch dann irgendwie nicht vereinsamt und kontaktarm wird? Also, ich finde das gar nicht so gut. Mein Opa ging am Sonntagmorgen ins Wirtshaus, die trafen sich da und haben sich ausgetauscht. Und heute? Das ist alles am Aussterben.“
Karlheinz Roth sagt dazu, Digitalisierung würde in Spiegelau nur eingesetzt, wenn sie einen Mehrwert biete. Einige Ideen seien deshalb nicht fortgeführt worden. Insgesamt war das Projekt „Digitales Dorf“ so erfolgreich, dass es nach der zweijährigen Laufzeit noch einmal von Freistaat verlängert und finanziert wurde. Inzwischen ist es hier abgeschlossen.

Der Bürgermeister will am Ball bleiben

Spiegelau bleibt indes digital. Karlheinz Roth konnte weitere Fördermittel vom Bund organisieren, denn er hat noch viele Ideen in petto.
Kurz vor der Mittagspause brummt der Drucker. Roth nimmt einen der Zettel aus dem Ausgabefach: wichtige Mitteilung für alle Haushalte! Abkochgebot! Das Trinkwasser im Bereich Oberkreuzberg, Langdorf, Augrub und Mühlberg ist verunreinigt.
Durch die App ging die Pushmeldung natürlich schon an alle Nutzer, aber noch stehen einige Bürger der App und der Digitalisierung skeptisch gegenüber. Zur Sicherheit gibt es für alle einen Zettel nach Hause. Es dauert noch ein bisschen, bis ganz Spiegelau digital wird. Karlheinz Roth wird sich weiter dafür einsetzen.

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